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Schoduvel - Karneval in Braunschweig

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12 Jahre 1 Monat her #6969 von Helmhut
Um ein wenig und zeitnah über die alten Braunschweiger Bräuche rund um das Thema Fastentreiben und Karneval zu berichten, dieser neue Thread...

Historisches folgt die Tage, vorab die aktuellen Meldungen:


Braunschweiger CDU-Fraktionschef weist Kritik von Karnevalisten zurück
Wendroth sieht keine Beeinträchtigung des Kinderkarnevals durch verkaufsoffenen Sonntag


"Der Fraktionsvorsitzende der CDU im Braunschweiger Rat, Klaus Wendroth, hat die Kritik der Braunschweiger Karnevalsgesellschaft an der Stadtmarketing GmbH zurckgewiesen. Der Präsident der Karnevalsgesellschaft, Siegfried Rackwitz, hatte dem Stadtmarketing vorgeworfen, den Karneval in der Stadt nicht ausreichend zu unterstützen.

Zudem hätte man mit dem City-Biathlon an diesem Wochenende eine Konkurrenzveranstaltung zum Kinderkarneval geschaffen, der ebenfalls am Sonntag stattfindet. Er habe Verständnis für die Sorgen der Karnevalisten, sagte CDU-Chef Klaus Wendroth gegenber Radio Okerwelle. Gerade die Karnevalsgesellschaft habe mit ihrem Engagement dazu beigetragen, dass der Braunschweiger Karneval sich in den letzten Jahren gut entwickelt habe und auch bei den Kindern und Jugendlichen hoch im Kurs stehe. Konkurrenzveranstaltungen müssten die Karnevalisten daher nicht frchten, so Wendroth."
www.okerwelle.de/cms/index.php?id=62&tx_ttnews

:silly: Was immer das heißen mag? So genau hat Wendroth da ja nichts gesagt.
Bleiben nun die Geschäfte am 12. Februar 2012 geschlossen?

Ohnehin die Konkurrenz in der Nachbarschaft scheint ja groß, wenn man denn den Braunschweigern den lokalen Karneval denn so geschäftstüchtig versauern möchte, sollte man folgendes bedenken:

Karneval in der Nachbarschaft
- Beienrode: Die Junge Gesellschaft lädt am Samstag, 4. Februar, steigt dort ab 20 Uhr eine Faschingsfete für Erwachsene mit Live-Musik,
- Beienrode: Am Sonntag, 5. Februar, findet ab 9 Uhr das Bärenrumgehen statt.

- Groß Brunsrode: Der Festausschuss des SV Brunsrode lädt am Samstag, 4. Februar, um 20 Uhr zur Faschingsparty und am Sonntag, 5. Februar, um 15 Uhr zur Kindermaskerade in den Dorfgemeinschaftsraum (Dorfstraße) ein.

- Essehof: Am Samstag, 11. Februar, findet um 19.30 Uhr in der Gaststätte „Zum Walde“ (Hordorfer Straße) die Fastnacht statt. Der Tag beginnt um 14.30 Uhr mit dem Kinderfasching.
Kartenvorbestellungen bei Edeltraut Weil, Tel. 05309/ 8585.

Flechtorf: Am Samstag, 18. Februar, lädt das Moderne Flötenorchester Flechtorf von 15 bis 18 Uhr ins DGH Flechtorf  zum Kinderfasching ein.

- Essenrode: Unter dem Motto „Götter und Helden“ lädt die Cliquenwirtschaft zum Rosenmontagsumzug ein. Abmarsch ist am Montag, 20. Februar, um 15.45 Uhr bei Familie Gramm (Mittelweg 20).

;) Wer also das reine Karnevalsvergnügen statt verkaufsoffener Innenstadttrubel sucht...

Gruß
Helmhut

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12 Jahre 1 Monat her - 12 Jahre 1 Monat her #6975 von Helmhut
Vorab - ein Überblick der Historie (Abriss) des Braunschweiger Karnevalstreiben von den Anfängen bis heute - Details über das ein oder andere folgen später...

Viel Vergnügen
Helmhut

_______

„Schoduvel-Tied is wedder mal,
up niedütsch het dat Karneval.“

1293 - Frühe Anfänge

Mit Stolz verweisen zwar die Braunschweiger Karnevalisten auf die über 700 Jahre währende Tradition närrischen Treibens in der Stadt Braunschweig, Zeugnisse, Bildmaterial ist allerdings sehr dürftig vorhanden, musste ich leider feststellen. Man hat offenbar weniger stolz dokumentiert, was man da all die Jahren getrieben hat.

In Braunschweig ist der „Schoduvel“, ein früheres Fastnachtstreiben, das damals unmittelbar nach der Weihnachtszeit begann, bereits im Jahre 1293 nachweisbar. Damit also vermutlich auch der älteste Beleg in Deutschland.


Historische Figuren des Braunschweiger Karnevals als Orden: (v.l.n.r) Erbsenbär - Frühling - Schoduvel (Quelle: braunschweig.de )

Der Name „Schoduvel“* ist nach Deutungen einer Reihe von Volkskundlern eine Bezeichnung für einen uralten Brauch, dessen Wurzeln in vorchristlicher Zeit zu suchen sind; vermutlich in einem Fest zur Wintersonnenwende, wo man durch Lärm, Verkleidung und schreckhaftes Gebaren die bösen Geister des Dunkels, der Kälte, des Todes und der Gefahr verscheuchen zu können meinte. Dieses Brauchtum wird noch heute gepflegt und verweist damit auf eine der Traditionslinien der alemannischen Fastnacht. Diese hat sich noch sehr gut in seiner Ursprünglichkeit erhalten, wenn auch heutzutage eher totenernst zelebriert. Zu den historischen Figuren später mehr.

Das Schoduwellaufen soll auch gleichzeitig in Magdeburg stattgefunden haben. Dort sprang einer der Gildenschüler in Teufelsmanier herum, nachdem er zunächst tanzte. Dass ein "Schüler der Gilde" (Lehrling) hier den Spaß trieb, verrät zudem, wer hier denn vor allem am Fasnachtstreiben oder Schoduveln Freude gehabt hat, nämlich junge Leute, Burschen, Handwerker und Arbeiter aus niederen Rängen, die aber oftmals organisiert waren in der frühen mittelalterlichen Stadt. Die alte "Burenfasnacht" wurde vorwiegend von der ländlichen Bevölkerung außerhalb der Städte auf Dorffesten gefeiert. Aber Form und Figuren als auch Bräuche ähnelten sich, ging ja das Winteraustreiben eher auf landwirtschaftlich relevante Ursprünge zurück.

*Schoduvel (Schodüvel), plattdeutsch, so v.w. Schauteufel, d.h. Schauspielteufel, Teufelsmaske, im Gegensatz eines wirklichen Teufels, nach And. vom vläm. schow, d.i. Kamin, u. düvel, d.i. schwarzer Mann, also Essenkehrer; bei den Niederdeutschen war es Sitte, am 1. Januar in Thierselle gekleidet u. mit Hörnern versehen, Umläufe auf den Gassen zu machen (Schoduvellopen), man sagt zu Ehren der Göttin Hulda; nach And. der Umgang der Essenkehrer in schwarzer Kleidung u. berußtem Gesicht zu Fastnachten, um bei ihren Kunden Geschenke einzusammeln.
Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 15. Altenburg 1862, S. 364


1408 -Wie man den Braunschweigern das echte bürgerliche Schoduveln austrieb

Später wurden die Feste durch Maskeraden und heute sogar durch Fassaden ersetzt und auch dabei allerhand Unfug getrieben, allerdings heute mehr von den amtlichen Narren.
So wurde aus dem Schoduveln, also dem rein völkisch motiviertem Vertreiben von Übel, von menschlicher Kälte, von Finsternis und Gefahren, das, was man amtlich nur so lange duldete, bis die OBrigkeit es noch dulden wollte.
In Braunschweig heißt es 1408 in einer Urkunde: „hyr is ein wonheyt (Gewohnheit), dat de jungen Lude pheghen to hebben eyne Kumpanye, also dat se lopen in den hilligen dagen to wynachten (die heiligen Tage vor Weihnachten).“ Ausführliche Beschreibung des Maskentreibens finden wir im Braunschweiger Urkundenbuch von 1477.

1477 — 1573 - Frohsinn, Brunswieks Narrenpflicht – schlechtes Klima gibt’s hier nicht!

Neben der amtlichen Obrigkeit gesellte sich natürlich auch die heilige Kirche zu jenen, die den Heidenspaß dem Volke zu verbieten suchte. Wäre doch gelacht, wenn man denen nicht Spaß und Lachen einschränken könne.
Althergebrachte Fastnachtsfeiern vor Weihnachten lenkten wohl zu viele Gläubige vom Kirchgang ab, also wurden auch diese Späße in der Vorweihnachtszeit verboten. Diese Feierlichkeiten durften später erst nach dem 6. Januar (Dreikönigstag) begangen werden.

Ein jedes Braunschweiger Weichbild hatte damals noch seinen eigenen Zug, sogar eigene Kostüme (davon später detaillierter) vor welchem zuerst Musikanten, die auch zu Pferde saßen, kamen. Abends beschloss man diesen "Aufzug" mit einem großen Bankett, das oft spät bis zu dem andern Morgen hindauerte, und auf dem natürlich viel gegessen, getrunken und getanzt wurde.“Die Junggesellen ritten bald die ganze Nacht durch die Straßen, wogegen etliche Ratsherren und auch die evangelischen Prediger, für die Fastnacht ein Dorn im Auge war, arg protestierten.
Der Lärm war so nicht mehr länger hinzunehmen. Deshalb verbot der Rat im folgenden Jahr, 1544, diesen Lärm und überlegte, die Fastnachtszüge abzuschaffen. Das zugehörige Dekret scheint nicht mehr zu existieren. Aber offenbar zeigten sich die Einwohner damit nicht so einverstanden. Es brauchte offensichtlich weitere 25 Jahre ungezügelten Weiterfeiern und unnachgiebiger Ratsbemühung durch die OBrigkeit, bis man 1573 mit einer Stadtverordnung das „Fastelabend laufen“ in der Maske sowie der „ungehörig nächtliche Lärm bei Strafe eines Guldens“ verbot. Ruhe und Ordnung waren, wie wir unschwer erkennen, auch damals wichtigstes Gebot.

Der Heilige Bim-Bam schaltet sich ein

Die Geistlichkeit ergriff ebenfalls ihre Mittel, das Schoduveln zu verteufeln. Bekanntermaßen wurde gelegentlich aus mythischer Wurzel kommendes uraltes Brauchtum mit dem Namen und den Vorstellungen des Bösen aus christlicher Zeit verknüpft; aus den vorchristlichen Geistern wurde der Duvel = Teufel. Hinter dem Wortteil „Scho“ steckt der Sinn von „schuen = scheuen, scheuchen, verscheuchen“. Neben den traditionellen Figuren Erbsenbär und Schoduvel hat sich die dritte Figur der Frühling eingefunden. Diese alten ursprünglichen Figuren hatten jedoch bereits das Sagen, bevor es überhaupt so etwas wie das Christentum geschweige denn die Evangelische Kirche gab.


Gewiss einer ältesten Bräuche in früheren Umzügen - der Brauwagen mit Pferden - hier aktuell der Wagen der Brauerei Wolters beim Braunschweiger Umzug

Aber die gewaltenteilige Obrigkeit, also die Herrschaft in Gestalt von Rat und Kirche trieben im Laufe der Jahre dem freudig feiernden Volk solche Heiden- und Feierspäße und damit auch das Schoduveln gehörig aus. Was blieb, war die stille Adventszeit und die vielbeschworene "VOR"-Freude, die ihren Höhepunkt im Heiligen Abend - lärmgezähmt - im kleinen biederen Kreis der Familie stattzufinden hatte. Jedenfalls in deutschen Landen, im Nachbarland Frankreich geht man an Heiligabend mit der Familie in die Öffentlichkeit und sehr gut essen.

Vorbei das Schoduveln, auch nach dem Dreikönigstag und danach kam ja auch bald die Fastenzeit, also übergangslos hinein in den Aschermittwoch. Erst im beginnenden Mai durfte dann wieder gefeiert und getanzt und geflirtet werden und der Frühling willkommen geheißen, aber nur einen Tag!
Im Süden des Landes war es der Kirche als auch der Obrigkeit einfach nicht so leicht gelungen, die Fasenacht (Fasnacht, Fasenet) zu vertreiben. Dort schaffte man es gerade noch so, das Ganze in vorheidnische Bräuche zu schubladisieren und machte zottelig zotige Fransengötter zu höllischem Pack, verbot dieses Umtreiben aber nicht, verdrehte bloß den Sinn ein wenig. Im Norden machten die Protestanten ganze Arbeit.

So ging es in Braunschweig ab 1573 ruhiger, ordentlicher, protestantisch bis puritanisch zu, Hansezeit, Handel, Geldsäckel füllen und sparen, sparen, sparen gehörten zur hiesigen abendländisch-christlichen Lebenskultur. Bis 1871 - also fast 300 Jahre gezügeltes Braunschweiger Volk, bis ein Reisender aus einem anderen Kulturkreis den Braunschweiger das Spaßmachen importieren musste.

1871 - „Brunswiek Helau klingt’s meilenweit, denn es ist wieder Narrenzeit.“

Es war im Jahre 1871, als Max Jüdel, ein bekannter jüdischer Braunschweiger Kaufmann auf das Thema Rheinländer Karneval zu sprechen kam. Also ein nichtprotestantisch geprägter Unternehmer, der mal aus Braunschweig rausgekommen war und den Karneval im Rheinland "mit seinem ganzen Drum und Dran, den farbigen Kostümen, den lustigen Reden und der Fröhlichkeit so beeindruckend" gefunden hatte, dass er die Idee hatte, ob man dies alles nicht auch in Braunschweig "wiederbeleben" könne.

Wiederbeleben!




Studentenschaft beim Umzug in Clausthal um 1900 - karge Kostümierung, Pferdewageneinsatz, Selbstgemachtes

Das Wort "wiederbeleben" zeigt, dass Jüdel um die frühen Bräuche Braunschweigs gewusst haben mag. Jüdel war Geschäftsmann und hatte Zugang zu weiteren Braunschweiger Geschäftsleuten, was bedeutete, dass es womöglich nicht nur reines Vergnügen war, den Karneval erneut in unserer Stadt zu etablieren, sondern auch reiner Geschäftssinn. Denn im Rheinischen bildet der Karneval nicht nur eine fünfte Jahreszeit, sondern auch eine fünfte Saison im Geschäftsleben. Tourismus und Faschingsartikelherstellung blühen. Festivitäten erhöhen den Marktwert eines jeden Ortes.
Bereits 1872 kam es dann zur Gründung des “ Braunschweiger Carneval-Clubs " (Gründer: nun Kommerzienrat Dr. Ing. h. c. Max Jüdel, 27 Jahre alt und ein bedeutender Förderer der heimischen Wirtschaft und im nachhinein Inhaber der "Eisenbahnsignal-Bauanstalt Max Jüdel & Co" auf der Ackerstraße - heute Siemens).

Geschäftiges Treiben

Jüdels Modewarengeschäft hatte durch die Einführung des Braunschweiger Karnevals ebenfalls ein paar Einnahmen mehr zu verbuchen gehabt. Alles in allem also eine gute Geschäftsidee - was wiederum zum Braunschweiger Geschäftssinn vorzüglich zu passen schien. Und deshalb hielt der Abklatsch des Rheinischen nicht aber des ursprünglichen völkischen Fasnachtstreibens in Braunschweig fröhlich Einzug.

1920 - "Allen wohl und niemand wehe"

1922 gründete sich zu der bisher existierenden Braunschweiger Karnevalsgesellschaft (BKG) ein weiterer Verein, der den Braunschweiger Karneval mitgestalten wollte: Die Karneval-Vereinigung der Rheinländer (KVR). Belgier und Franzosen hatten während des Ersten Weltkrieges in den Jahren 1920 bis 1922 das Land besetzt.
Die Rheinländer jedoch blieben aufrecht und ließen sich weder gängeln noch unterdrücken, so in der Chronik . Sie wiedersetzten sich mit Macht den Anordnungen der Besatzungsmächte und wurden darum verfolgt, ausgewiesen oder flüchteten aus eigenem Antrieb in das übrige Reichsgebiet . So kamen sie auch in die Städte Hannover, Göttingen, Celle und eben nach Braunschweig. Daher besitzt der Rheinländische Karneval diese vielen militärischen Komponenten.

"Allen wohl und niemand wehe", so das Motto des neuen Vereins, das sich bis heute erhalten hat. Aber allen wohl zu sein und niemandem weh zu tun, schaffte man in Deutschland nicht lange.



Dieser neue Verein kam ebenfalls aus höher gebildeten bürgerlichen Kreisen. Studienrat Kämpfer, Rektor der Hoffmann-von-Fallersleben-Schule in Braunschweig war es , der die Initiative ergriff und am 13. August 1922 die in Braunschweig wohnenden Rheinländer zu versammeln und mit ihnen die Karneval-Vereinigung der Rheinländer zu gründen. 1930 richtete dieser Rheinländer Verein auch zum Anlass der "Befreiung des Rheinlandes" in Braunschweig eine große Feier aus. "Der Rhein war wieder in deutscher Hand", wie es hieß.

1933 — 1940 - Schluss mit lustig - Karneval wird national

Im Herbst 1933 erfolgte bei den Rheinländern in Braunschweig ein Einbruch im Vereinsleben. Robert Jacobs gehörte nicht der regierenden Partei an und wurde aus Gleichschaltungsgründen abgesetzt. Dennoch machten andere, gleicher Geschaltete weiter, wie man der Chronik entnehmen kann.

Noch war es nicht soweit mit dem alten Schoduveln. Es kam ja erst noch das andere große Narrenstück, am 11.Januar 1940 wurde durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges das Vereinsleben gänzlich eingestellt.
Da trieben nicht die Braunschweiger sondern die Aliiertenkräfte den Herrlichkeiten samt bravem Untertan die Narrheiten gründlich aus. Deshalb erstmal Schluss mit lustig und Pause. Lange Pause!

Im Oktober/November 1948 im Oktober/November erst trafen sich die in Braunschweig vorhandenen Mitglieder der Braunschweiger Karneval-Gesellschaft von 1872 und wenige Tage später, es war genau am 23.11.1948, auch die Rheinländer, um die Tradition der rheinischen Büttenabende fortsetzen zu können.

1948 — 1979 - Klein anfangen! - Kinderkarnevalstradition

Man fing langsam und erstmal sehr klein an, ließ erst einmal die Kinder vor, dass die sich zum Narren machen. Unschuldiger eben! ;)

Die Großen trauten sich noch nicht ganz auf die Straße, man traf sich zu Büttenrede in Sitzungen rheinischer Manier und Kostümfesten. Die Session endete, wie auch schon vor dem Krieg, mit dem großen Kostümfest am Rosenmontag und dem Funkenbiwak als Dank für alle Aktiven
Wiederbelebt wurde das närrische Treiben nämlich durch einen Kinderkarnevalsumzug im Jahr 1979.

Hier ein aktuelles Stimmungsbild:
Am Sonntag, 5. Februar 2012, lud die Braunschweiger Karneval-Gesellschaft von 1872 e. V. (BKG) zur 57. Kinderkarneval-Veranstaltung, der größten Veranstaltung dieser Art in Norddeutschland, in den Großen Saal der Stadthalle zu Braunschweig ein.
Es gibt ein Kinderprinzenpaar sowie ein Kindertill, die an Veranstaltungen und Programm der Karnevalsgesellschaft teilnehmen. Mehr als 100 Kinder werden ganzjährig von lizenzierten Trainerinnen betreut. Diese Kinder zeigen während des Kinderkarnevals ihr Können im Tanz, Gesang und Büttenreden.

Alle Kinder im Braunschweiger Land werden jährlich dazu aufgerufen, in ihren Kostümen in die Stadthalle zu kommen. Glücklicherweise zeigt man sich kinderfreundlich, denn für Kinder gibt es während des Programms keinen Sitzzwang, Herumtollen ist ausdrücklich erwünscht.

In den Pausen können Kinder mit ihren Eltern und Großeltern das Tanzbein schwingen.


1965 „Ob Wissenschaft, ob Narretei -
Brunswiek ist stets vorn dabei!“


Man ahmte - bis in die heutige Zeit - die recht militanten Karnevalsriten mit Funkengarden und Elfer-Ratsleuten, steifen Narrenkappen und Korso (Rosenmontagszug) nach, die ja ursprünglich eigentlich Relikte des Verhohnepiepens des Militärs und der Obrigkeit schlechthin waren, warf Kamelle, die man braunschweigisch "Böngschen" nannte und "spielte" quasi Kölle-Filiale, was dem Braunschweiger Karneval von den Kölnern und Määnzern Urgesteinen oftmals auch etwas Häme einbrachte. Kein Wunder!

Mit der Zeit entstanden in Braunschweig wurde auch die Mascheroder Karnevalsgesellschaft mit in den Braunschweiger Karneval einbezogen. Die Mascheroder Karnevalgesellschaft verdankt ihre Existenz der im Ort ansässigen Gaststätte Mesecke. Diese gibt es zwar heute nicht mehr, aber wir sind daran nicht schuld! 1964 trafen sich zum ersten Mal einige schräge Köpfe, die es wagen wollten, einen Karnevalsverein zu gründen.


Treffen der schrägen Köpfe 1965 in Mascherode zum Karneval {Quelle: MKG-Arciv)

Noch vor der Gründung am 1.5.1965 wurde der erste Büttenabend am 26.2.1965 veranstaltet, man war halt immer schon etwas fix. So fix, schreibt die Chronik , wie der erste Schriftführer der MKG, der 1968 mit dem Auto in die Oker fuhr und dabei die bis dahin angesammelten Unterlagen gleich mit versenkte, sodass heute nur noch mündliche Überlieferungen der Gründungsmitglieder über die ersten Jahre in der Vereinsgeschichte existieren. 


Teil des Dreier-Gestirns: Aufführung der Mascheroder Karnevalsgesellschaft in neuerer Zeit. Als hätten sie sich extra fur den Mascheroder Karneval rot-weiß gekleidet (von rechts): Till (Jan Dyczka) und Bauer Jürgen (Jürgen Buchheister).
Foto: Scheibe
www.bs-sued.de/.../ 2006_02_20_buchheister.htm


Der Verein nannte sich ursprünglich "Mascheroder Karnevalgesellschft Rot-Weiß von 1965", eingetragen wurde er allerdings als "Mascheroder Karnevalgesellschaft Rot-Weiß 1965 e.V.", das "von" muss wohl auch seinen Weg in die Oker gefunden haben.

Figur des Bauern (Mascheroder Tracht)

Eine Gruppe von Mitgliedern der Mascheroder Karnevalgesellschaft, wollen die Tradition der Braunschweiger Husaren von 1809 wiederaufleben lassen. Der Grundgedanke war eine Garde zu gründen die einen historischen Bezug zu Braunschweig hat, diesen stellt das Husarenregiment des Schwarzen Herzogs da. So entstand die Untergruppe der " Schwarzen Husaren ", frühe uniformtreue (Tanz-/Musik)Garde, also Schutz- und "Ordnungskräfte" - nach dem Schwarzen Herzog benannt.

B) Nicht zu verwechseln mit den schwarzen Sheriffs!

Um dem Proporz Genüge zu tun, denn nichts ist ernster als die Gleichstellung unter den Narren, stellen die jeweiligen Vereine die Braunschweiger Hauptfiguren wie Prinz, Bauer und Till Eulenspiegel sowie für den Kinderkarneval Prinz, Prinzessin und Kindertill.


1926 - so sahen damals Prinzen aus (Prinz Robert Jakobs, Foto KVR)

Die Prinzen werden stets aus den Reihen der 1922 gegründeten Karneval-Vereinigung der Rheinländer (KVR) gekürt, der Bauer ist die Symbolfigur der 1965 entstandenen Mascheroder Karneval-Gesellschaft (MKG) und der Till ist die Symbolfigur der Braunschweiger Karneval-Gesellschaft (BKG). Kinderprinzenpaar und Kinder-Till kommen ebenfalls aus den Reihen der BKG.

1996 wird telegener umgezogen!

Fairerweise muss man sagen, dass die Kölner und Mainzer eben hier auch eine merkwürdig widersprüchliche Verdrehung durchgemacht haben, denn während man früher Militantes vergackeierte, in dem man Schwellköppe auf übertrieben lamettabehangene satirisch aufbereitete Pseudouniformen setzte und komische Gardisten ebenso komische Tänzchen aufführen ließ und damit ja gerade die zu treffen suchte, die das Volk allzuoft gängelten, bevormundeten und sich als wichtig hervortaten, degenerierte auch der Rheinländer Karneval in starre Formalismen. Da wurden Ehrengarden, Elfer-Ratsherren und Brauchtum genau so steif und durchexerziert wie beim verlachten Militarismus. Und heute gleicht das hohe Karnevalszeremoniell eher militanten Regelwerk als zur Entstehungszeit.

Närrisch ist heute nicht so sehr das Volk, am närrischsten verhalten sich die Ehrenpräsidenten und Karnevalisten, die nebenberuflich in hohen Positionen im Bereich Politik, Wirtschaft und Industrie tätig sind. Reichlich Zulauf also gerade von jenen HERRschaften, die das Volk damals ursprünglich aufs Korn nahm. Was ist davon heute geblieben? Wer feiert hier eigentlich? Und für wen oder was wird gefeiert?
Blech für Ehre - Ordenssammlungen, sehr beliebt

So gebenedei(h)te sich im Geld- als auch Narren-Blechordenverdienen die Braunschweiger Karneval-Gesellschaften und -Vereinigungen im Laufe der nun 130 Jahre zu einer der großen Gesellschaften dieser Art in Deutschland. Die BKG ist die siebtälteste in Deutschland, trägt man stolz vor sich her. Dafür gibt es dann Orden mit dem tierischen Ernst und Dem besten bzw. witzigsten Wagen und der besten Karnevalsgruppe wird der „Jeckenpott“ verliehen. Der Braunschweiger Umzug wurde übrigens erstmals 1996 vom Norddeutschen Fernsehen live übertragen.

Man feierte Rheinländer Karneval in all seinen Formen in Braunschweig, so auch mit einem großen Umzug, der, auch hier muss man ein wenig schmunzeln, der größte Karnevalsumzug im Norden ist. Kein Wunder, ist er ja fast der einzige. Berlin ahmt zwar ebenfalls nach, hat es aber bislang nicht zu dieser "Größe" bringen können, weil später erst wieder vereint und damit erst später begonnen. Eine durchgehende Karnevalskultur gab es in Braunschweig nie, wie wir sehen.

„Bühnenkunst und Narretei, in Braunschweig sind die Narren frei!“
Braunschweiger Merkwürdigkeiten und Eigenheiten

Erst im Jahr 2005 erinnert sich irgend jemand an den alten Brauch des Schoduvel. 2005 wird der Karnevalsumzug in Braunschweig mit dem alten Begriff Schoduvel verbunden. Seit 2005 wird versucht, dieses Karnevalstreiben historisch zu „untermauern“, indem namentlich eine Verbindung zum mittelalterlichen Schoduvel hergestellt wird. Wie kommt's? Und weshalb so spät? Die Urkundenbüchern lagerten wohlbehütet in den Braunschweiger Archiven und man hätte wohl unschwer auf diese alten Braunschweiger Bräuche stoßen können. Wie kommt es also dazu, dass da niemand früher hingesehen hat?

:unsure: Kann das damit zusammen hängen, dass man sich gerade zu dieser Zeit besonders lustig über die Braunschweiger Adaption des "Kölner Karneval" gemacht hat?

Jede echte Tradition hat Ursprünglichkeit und damit auch gewachsene Figuren, Bräuche und Umstände. Das hatte der von Max Jüdel eingeführte Braunschweiger Karneval natürlich nicht. Während Köln König, Bauer, Jungfrau (alles Männer in Verkleidung) oder Düsseldorf seine Schwellköpfe vorzweisen hatte, fehlte Braunschweig lange eine echt urwüchsige Identifikationsfigur. Um dem Abklatsch zu entkommen, hatte man zwar die Figur des Till Eulenspiegel neben das obligatorische Prinzenpaar gesellt, doch jeder weiß, Till war weder gebürtiger Braunschweiger noch ist es halbwegs sicher, dass er existiert hat. Es existieren lediglich drei Schwänke, die über Tills Wirken in Braunschweig künden - und das erst seit Anfang des 16. Jahrhunderts. Wie hat man in unserer Stadt, in unserer Region zuvor gefeiert, welche Figuren war da Brauch?
Auch dazu später mehr Details.

Idenitätssuche


Alt-Braunschweiger Originale (Rechen-August, Harfen-Agnes, Tee-Onkel und Deutscher Heinrich)

Mit der Till-Figur aber hätte man in Schöppenstedt und anderen Orten, die sich um Tills Geburtsrecht streiten, mehr Anlass, seine dortigen Karnevalesken mit einem schelmischen Till Eulenspiegel auszustatten und zu krönen. Braunschweig wäre dann mit einem arg aufgesetzten Till auch nur wieder Abklatsch. Offenbar suchte jemand 2005 Braunschweiger Identität. Wollte zurück ins Ursprüngliche, mehr in den völkischen Fasnachtsbrauch zurück mit Erbsenbär und Schoduvel. Vielleicht, weil das nicht nur eine sehr alte Fasnachtstradition schlechthin ist, eventuell sogar die älteste oder eine der ältesten in Deutschland und somit auch ein Alleinstellungsmerkmal, was den Braunschweiger Brauch wirklich zu etwas ganz Besonderem macht.


Schoduvel und Erbsenbär in den Händen Tills

Der Schoduvel, das alte Geistervertreiben mit schön-schrecklicher Maske und die etwas modernere Variante der alten Strohbären (viele regionale Varianten bekannt), hier Erbsenbär genannt. Die heutige dritte Figur "Frühling" dürfte eine Anlehnung an die frühen (römisch-germanischen-keltischen) Frühlingsriten sein, die man früher ebenfalls übergangslos als Fasnachtsbräuche einband und war auch passend zu der Vereinsfarbe grün des KVR. Wobei aber auch zur Zeit der französischen Revolution und heute noch in Nizza junges Baumwerk, Blüten- und Blumenkorso als auch die Figur des Frühlings als blütengeschmücktes junges Mädchen auftrat, aber diese Symbole doch sehr archal sind.

So hat sich das Stadtmarketing 2005 die alten Figuren zwar zurück erobert, aber nicht unbedingt die Bürgerschaft in Braunschweig, kennt man weder Bezug noch Ursprünge so richtig. Inzwischen gibt es nämlich nicht nur ein Zurück zu den Wurzeln sondern solch bizarr wirkende künstlich hineingerührte marktstrategische Übertreibungen, dass man sich fragt, wer hier de Narrenschaft stellt? Volk oder die Stadtgewaltigen?

Prinzensud, Biwak und andere Braunschweiger Merkwürdigkeiten

Seit 2011 gibt es im Braunschweiger Karneval ein besonderes Bier, der Braunschweiger Prinzensud, der eigens für die fünfte Jahreszeit und zu Ehren des Prinzen vom Hofbrauhaus Wolters gebraut wird. Man macht also seinen eigenen Faschingsauftrit mitunter zur eigenen Geschäftsbelebung. Zum Funkenbiwak, das am 11.11. jeden Jahres stattfindet, wird das erste Fass vom Braunschweiger Karnevalsprinzen angestochen.

Rosenmontag ist am Sonntag

"Der Braunschweiger Umzug findet am Sonntag vor Rosenmontag statt." - heißt es in vielen Touristen-Flyern oder auf den stolzen Internetpräsenzen, die unsere Stadtverwaltung und die StadtmarkeKings befüllen lässt. Wie umständlich das klingt. Am Sonntag vor dem Tag also, an dem alle anderen Rosenmontagszüge stattfinden, findet in Braunschweig also ein Umzug statt. Der Braunschweiger Rosenmontagszugsbrauch findet sonntags statt, weil man ja so preußisch tugendhaft sein möchte. Und wir alle kennen das Klischee - Preußen können einfach nicht lustig, nicht locker. Zack-zack schon und stramm stehen, gehorsam, sparsam, pflichtvergessen und besonders fleißig, das können die, die Preußen. Und vor allem fleißig arbeiten gehen, während die Restrepublik Fasching, Karneval und Fasnacht feiert, das können vor allem die Braunschweiger. Da geht kein Tag für den Einzelhandel, für die Wirtschaft, Industrie, die Ratsherren, Politik, Ihk- und Handwerkskammerfürsten verloren, nein!
Denn in Braunschweig feiern sich ja vor allem diese, nehmen also auch am Umzug, wo man in prunkvollen Wagen hoch erhöht endlich mal durch zujubelnde Massen an Untertanen fahren kann, das geht auch sonntags. Montags wird wieder gearbeitet, so ist man beflissen und rein volkswirtschaftlich. Brav!

2003 - Motti, Motive und Motivation

Man ist so stolz auf seinen Braunschweiger Karneval, dass es sogar bei Wikipedia eine Art Chronikversuch gibt - trotz der breiten Lücken! Und der selbsternannte Chronist ist auch Witzbold oder rechtschreibschwach, der schreibt zwar Latein, aber mit dem Deklinieren klappt's nicht so recht:

Die "Mottos des Umzuges" ( ;) und er meint sicher Motti)

Diese zählt der freiwillige Chronist dann auch auf. Die Liste beginnt jedoch erst ab dem Jahr 2003, davor ist wohl kein Motto überliefert, auch wenn offenbar schon 25 mal davor solche Umzüge stattgefunden zu haben scheinen und der dazu gehörige Braunschweiger Karnevalsverein (ehemals Carnevals-Club), der bereits eine 300-jährige Tradition vorzuweisen hat, führt keine Chronik - oder? Falls ja, scheint wenig Interesse, mal echt Historisches auf Wikipedia zu ergänzen.

Und weil man in Braunschweig so besonders lustig ist, wirken die Motti dann eher nüchtern, die Fakten rüberreichend, Hauptsache es reimt sich hinten:

2003 − „Braunschweigs Umzug, das ist wahr, läuft schon 25 Jahr.“

Hier eine gereimte Rückantwort:

Unwahr ist es also nicht,
dass der Umzug älter ist?
Aber wahr ist, das ist wahr,
er läuft fünfundzwanzig Jahr!

Wenn 2003 der Umzug also bereits sein 25-jähriges Jubiläum feiern konnte, dann geht der erste Umzug dieser Chronik auf das Jahr 1979 zurück, der erste Kinderkarneval damals, also nach Kriegszeit und langer Feierpause.

Die M"Ottos" der Jahre 2004 und 2005 mussten offensichtlich und unbedingt den original Braunschweiger Helau-Karnevalsgruß enthalten:
2004 − „Jubel, Trubel, Heiterkeit – Helau zur fünften Jahreszeit.“
2005 − „Brunswiek Helau klingt’s meilenweit, denn es ist wieder Narrenzeit.“

Alles nüchtern, alles klar, alles wahr!
Aber so unglaublich nichtssagend. Weshalb bloß, wer dachte sich diese Banalitäten denn drei Jahre bloß aus? Vermutlich jemand besonders Dichtes, an ein Brainstorming innerhalb des städtischen Marketing-Think-Tanks wage ich kaum zu glauben.
2006 dann endlich mal etwas mehr Völkisches oder sagen wir mal was Traditionelles:

2006 − „Schoduvel-Tied is wedder mal, up niedütsch het dat Karneval.“

Jedenfalls erinnert man an eine alte längst vergessene Sprache, das alte Braunschweiger Platt, das kaum noch jemand beherrscht. Aber Vorsicht, Missbrauch liegt wieder mal nahe, wenn uns das von droben aus den Ratsherrenstuben geweissagt wird. Da soll es ja wieder merkwürdige altdeutsche Trends geben, als Braunschweig noch Herzogtum war.

2007 hat dann wohl der OB selbst das Motto gewählt. Da gab es ja die schöne aber kurze Ära der Braunschweigeschen Wettbewerbe und Reinfälle:
2007 − „Ob Wissenschaft, ob Narretei - Brunswiek ist stets vorn dabei!“(bei beidem?)

Jedenfalls den Titel "Stadt der Wissenschaft" hat man in diesen närrischen Wettbewerben erringen können, wenn auch nicht ganz das Ansehen. Man arbeitet aber dran. Brunswiek, der alte Name und das Vorn-dabei sollen wohl Stolz als auch Ulk hervorrufen. Letzteres kam dann eher auf. Es wurden die bizarren Ideen der StadtmarkeKings als auch der Bewerbungseifer des OB aufs Korn genommen.

Bei Wikipedia schien dann auch eine erläuternde Erklärung für alle Außenstehenden und Unaufgeklärten der Restwelt mit dabei, damit es auch jemand halbwegs normal Denkendes begreifen konnte, was denn Braunschweig damit meint:

"2007 fand der 29. Umzug unter dem Motto Ob Wissenschaft, ob Narretei - Brunswiek ist stets vorn dabei! statt – eine Anspielung auf Braunschweigs Titel „Stadt der Wissenschaft 2007“

Eine Verlinkung gibt es natürlich auch dazu.

Also, wer hat diesen Beitrag bloß verfasst?

Auch 2008 wagte man sich sogar politisch zu werden:

2008 − „Frohsinn, Brunswieks Narrenpflicht – schlechtes Klima gibt’s hier nicht!“

Allerdings verhöhnte nun ihrerseits die Verwaltung die aufkommende weltweite Diskussion um das Klima, den Klimawandel als auch die Kritik an Umweltverschmutzung. Klar, in der Stadt regte sich das Bürgertum und bangte um Bäume, Stadtpark, Feinstaub und gute Luft. Da musste man von oben herab reagieren. Und was war da nützlicher als der Karneval?


[size=2[Ministerpräsident David McAllister (CDU) zur "Bollchen-Maschine". Von einem der Prunkwagen im Zug warf McAllister jede Menge Bonbons in die jecke Menge am Straßenrand. NDR [/size]


Schwarze Garden zur Sicherheit der Obernarren

Da war von Narrenpflicht die Rede, als die Verpflichtung, als Untertan auch recht närrisch zu sein und sich über schlechtes Klima im doppelten Sinne aber auch sowas wie keine Gedanken zu machen. Das Klima in Braunschweig? Spitze! Klimatisch als auch politisch! Wir sagen Dir ja, wie Frohsinn und Karneval geht, liebes Bürgerlein.

2009 gab man sich wahltechnisch freistaatlich, löwenstark und bayerntreu:

2009 − „Heinrich der Löwe überall, München, Braunschweig – Karneval!“


Löwenmotive - bereits 2003

Weshalb bloß? Was war los? War das Nord-Süd-Gefälle plötzlich verschwunden? Was war an Bayern plötzlich so attraktiv? Oder wollte man "so spitze" wie Merkel sein und christdemokratisch genau dorthin, wo Bayern bereits damals schon stand? Liebäugelte man gar mit der CSU damals? Vielleicht war ja nur das Geld knapp und man hatte noch genügend Löwen-Motive und -pappköpfe aus vergang'nen Jahren übrig, wer weiß?


Löwenstark - Karneval, weil völkerverbindend


Löwe und Eulenspiegel


2010 dann − „Bühnenkunst und Narretei, in Braunschweig sind die Narren Frei!“ ([url=Quellen: http://de.wikipedia.org/wiki/Schoduvel]Wikipedia[/url]-Zitat)

;) Frei wird hier sogar groß geschrieben?
Wenn's nur so wär'!
Als käme der durchschnittlich interessierte ausgerechnet dazu, unbedingt als erstes die Braunschweiger Bühnenkunst nach vorn zu bringen und das auch noch zu Karneval, wo es in breiter Manier doch mehrheitlich um Ausgelassenes, wirklich Volksnahes geht.

Wer kommt denn da auf "Bühnenkunst"?
Da hätte man auch nach dem Bayern-Löwen-Motto von 2009 auch gleich deftig mit Eintracht weiter machen können. König Fußball überall, in Eintracht wie im Karneval" oder so was ballanes! Aber das war ja nicht beabsichtigt, hier ein breites völkisches Publikum oder Narrenvolk anzusprechen mit dem Motto, sondern ein weitaus größeres nach Preisen lechzendes oder auch Titel verleihendes Völkchen aufmerksam zu machen. Stand damals nicht auch der Wettbewerb "Kulturhauptstadt" im Hinter- oder Vordergrund? Und musste vielleicht deshalb dieses künstliche "Bühnenkunst-"Stück" in den Motto-Reim gezwängt werden? Hochpolitisch, hochmottiviert also, diese Ungereimtheiten!

2011 - brauchte man nur im Schnapsrausch zu zählen − „Nun schon 33-mal - Schoduvel, Brunswieks Karneval!

Und zeigte damit, wie oft man schon verzweifelt ein Motto suchen oder besser finden musste. Der alte Name
Brunswiek scheint sich auch zunehmend zu etablieren. Besinnt man sich etwa auf die vermeintlichen alten Werte? Aber nein!


Politisches Leisetreten - oder
2012 - "Schoduvel mach' dich auf die Socken, um den Frühling anzulocken."

Irgendwie scheinen dieses Jahr politisches Leisetreten, fast schon Banales und noch mehr Nichtssagendes an der Tagesordnung zu sein - auf leisen Sohlen, nein, in Socken gar, kommt das Motto 2012 daher:

"Schoduvel mach' dich auf die Socken, um den Frühling anzulocken."

Ausgerechnet der Schoduvel, die alte wilde teuflische Figur, die zum Teufelsjagen gebraucht und einst guter Brauch war, wird auch hier in Stricksocken gesteckt, mutiert zum Leisetreter und soll damit den Frühling anlocken?
;) Absurdistan lässt grüßen.
Oder lässt es auf das derzeitige Leisetreten des einstigen Ratsmehrheitenkabinetts schließen?

Es wird Zeit, dem alten Burschen Duvel scho mal derberes Stiefelwerk zu verpassen und den Leise(ver)tretern, die dem Souverän und Bürger nach und nach den Spaß verdorben und zu ihren Gunsten verdreht haben, mal den Stiefel dahin zu setzen, wo der Herrgott ein Loch zum Windablassen gelassen. Wenn schon Stiefelknecht, dann echt!

Und es sieht auch schon so aus.
Der Verein brauchte schon lange Mitglieder, die Obrigkeit, die dem eigenen Völkchen den Spaß mehr und mehr verdirbt, krankt ja dann an Nachwuchs. Also ließ man in die 300-jährige blaublütige Witztradition dann auch mehr und mehr weniger Honoratorische. Diese vermelden nun Revolutionäres.
Da wird opponiert - fast mehr als in der täglichen Kommunalpolitik.

Es geht gegen den verkaufsoffenen Sonntag, der gleichzeitig auch Tag am des Braunschweiger Kinderkarnevals, also sonntags, stattfinden soll.
Absurdistan grüßt erneut!

Erst Rosenmontags keinen Umzug und auch darum keinen Feiertag erlauben, also Tradition abschaffen. Dann die Sonntagsfeiern mit Rosenmontagsumzug bestücken, der dann eben nur Braunschweiger Umzug (Schoduvel) genannt wird und sonntags stattfindet. Und nun doch wieder kein Feiertag sondern Geschäfte öffnen während der Feierlichkeiten. Wenn es Narren gibt in Braunschweig, dann sitzen die offensichtlich in der Stadtverwaltung und wer der Chef des Ganzen ist, wird zunehmend auch klarer.

Soweit eine erste Revue dessen, wie sich der Karneval in unserer Stadt entwickelt hat. Weitere Details folgen demnächst.
Letzte Änderung: 12 Jahre 1 Monat her von Helmhut.

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12 Jahre 1 Monat her #7004 von Helmhut
Vorab Aktuelles:
Erste Ansichten der aktuellen Wagen
Im Wolfenbütteler Schaufenster vom 05.02.2012 (sind bereits einige Wagen des diesjährigen Schoduvels zu sehen. Warum das diesjährige fast banal-naive Motto "Schoduvel, mach' dich auf Socken, um den Frühling anzulocken" lautet, klärt sich dabei auch zunehmend. Bunte Blüten und das Logo "Klassik im Park" prangen von einem Wagen, Sponsoren waren u.a. VW Financial Service, Metje Elektroanlagen, Malerbetrieb Heinemann, Autohaus Gebr. Bormann, Radmacher-Kalksandstein.
Das Thema Atom - nicht wegzukriegen - wird aber auch wieder vertreten sein. In einem TV-Interview bei "Hallo Niedersachsen" wurde der Schöpfer der Wagen-Figuren nach dem Thema "Wulff"-Parodie befragt und ob es auch einen Wulff-Wagen wegen des brisanten aktuellen Themas geben wird? Darauf wusste man nur eine Antwort: Dazu fehlt das Geld!

Offenbar sind die Sponsoren mehr an ihren eigenen Themen wie "Klassik im Park" und sonstigem interessiert?

_______________

1293 - Frühe Anfänge des Braunschweiger Karnevals


Die erste schriftliche Erwähnung einer „Fasnacht“ stammt aus dem Jahre 1293 und zwar in einem Braunschweiger „Schichtbuch“, einer Chronik insbesondere der Braunschweiger Bürgerunruhen ("Schichten") von 1293 bis 1513/14; die früheste Erwähnung im Blick auf das Rheinland erst aus dem Jahre 1342. Und die älteste deutsche Karnevalsgesellschaft wurde – welch karnevalistische Überraschung?! – 1872 in Braunschweig gegründet und zwar von Max Jüdel, der auch Braunschweiger Landtagsabgeordneter und bis zu seinem Tode 1910 Präsident der Handelskammer war. Der Braunschweiger „Karnevalsumzug der Neuzeit“, so Jürgen Hodemacher, wurde vom damaligen Oberbürgermeister und späteren Ministerpräsidenten Gerhard Glogowski  ins Leben gerufen.  

Ältestes deutsche Brauchtum von der „Fasnacht“ („Schwärmnacht“)

Über die „Fastnacht“ („Dienstag nach dem 2. Vollmond im Jahr als Beginn der 40tägigen Fastenzeit“) zum heutigen „Karneval“ („Carne vale“, „Fleisch lebe wohl“) hat sich auch in unserer Gegend der Brauch entwickelt.

Der Wortstamm des Begriffes „vasenacht“ scheine vom Begriff des „faselns“ („fruchtbar“) abgeleitet zu sein. In den Anfängen sei es vor allem um den „Schoduvel“ („Scheuchteufel“) gegangen, der mit Hilfe des „Schoduvel-Umzuges“ „den Winter austrieb, um das Frühjahr zu empfangen.“ Dabei sei „viel gefeiert, gefressen und gesoffen worden.“

Bereits um 1200 führten norddeutsche Brauereien über den Hafen Bremen viel Bier nach Flandern und Skandinavien aus. Magdeburg exportierte ab 1023. Ein Matrose bewältigte damals pro Tag spielend seine zwölf Liter Bier. Die Städte wehrten sich beharrlich gegen jede Bevormundung durch die Landesherren; deshalb gab es ständig Ärger. Die Braunschweiger »Mumme«war so stark und haltbar, dass man sie bis nach Ostindien verschiffte.
www.bier-lexikon.lauftext.de/bockbier-2.htm

Für die Kirche und die Obrigkeit waren diese Ausschweifungen ein „Dorn im Auge“. Immer wieder sei deshalb versucht worden, das heidnische Treiben zu reglementieren, aus „Fasnacht“ sei immer mehr „Fastnacht“, der Beginn der Fastenzeit geworden. In den Dörfern jedoch wurde die „Schwärmnacht“ (fast) immer und (fast) überall im alten Sinne lustig weitergefeiert. In den evangelischen Städten hörte man offensichtlich – „offiziell“ - eher auf den Reformator Martin Luther: „Wenn wir nicht fasten, müssen wir auch nicht die Fastnacht feiern.“

Die ersten Verordnungen

Die älteste Erwähnung in Hannover, die bisher bekannt ist, stammt aus dem Jahre 1534. In der ersten Zusammenfassung des Stadtrechts, die Große Stadtkündigung jenes Jahres, enthält bereits Vorschriften vom Festelabendt Der Herzog Ernst August zu Braunschweig und Lüneburg erließ am 26. Januar des Jahres 1683 eine Maskenverordnung für die Stadt Hannover.

Was geschah 1293 - wie sah unsere Stadt aus? - Unruhen und Gilden

Wie wir wissen, besonders junge Männer - vorwiegend aus handwerklichen Gruppen oder Gilden beschäftigten sich mit dem Fasnachtstreiben oder der Schwärmnacht. Über die frühen Gildenbildung und ihre Privilegien gibt das Kapitel "Die erste Schicht" Auskunft.

Stadtteile statt Stadt

Eine historisch gesicherte und durch Urkunden belegbare Darstellung des Ursprungs sowie der frühen Entwicklung der Stadt und ihrer frühen Weichbilde (Stadtteile) ist schwierig, es existieren keine Originalurkunden aus der Zeit vor 1031. Bereits früh existierten fünf Weichbilde, die unabhängig voneinander gegründet wurden, sich entwickelten und im Laufe der Zeit, endgültig aber erst 1671, zu „Braunschweig“ zusammenwuchsen. Jedes von ihnen verfügte über ein eigenes Rathaus, einen eigenen Rat, eine eigene Pfarrkirche und eine unterschiedliche Bevölkerungsstruktur. Noch heute tragen diese Weichbilde ihre alten Namen: Altewiek, Altstadt, Hagen, Neustadt und Sack.
Man kann daher auch vielleicht davon ausgehen, dass diese auch noch 1293 - in der frühen Zeit unserer Stadtentwicklung - ihre eigenen Fasnachtsbräuche pflegten.


{Quelle: Stadtkonflikte um 1300 - Textausschnitt S. 184)

Siegel der Stadt von 1231 mit dem Standbild des Löwen

1293 dürften demzufolge bereits Altewiek (urkundl. Ersterwähnung um 1031), der Hagen, Sack, die Neustadt und die Altstadt existiert haben. Gemeinsam mit Altewiek bildet die Altstadt den ältesten Bereich Braunschweigs mit einer Kaufmannssiedlung in Nähe des heutigen Kohlmarkts. Es standen bereits die ehemalige Jacobskirche, die ehemalige Ulricikirche auf dem Kohlmarkt, am Ulrichsthore wurde Recht gesprochen, dann die Michaeliskirche, St. Martini-Kirche, das Altstadtrathaus sowie Befestigungsanlagen rund um die Altstadt. 1290 hatte gerade erst in der Altstadt ein Großbrand gewütet, wobei, da viele Häuser noch aus Holz bestanden haben dürften und mit Stroh gedeckt waren, einige Gebäude dem Brand zum Opfer gefallen waren.
Es gab bereits den Dom, die Burg Dankwarderode, diverse Klöster wie Aegidius und Brüdern, Kirchen und weitere größere Steingebäude in den jeweiligen Vierteln. Das alte Aegidienkloster - vormals im romanischen Stil gegründet, wurde damals gerade als gotischem Stile um neu errichtet. Die sich im frühen 14. Jahrhundert entwickelnde Jüdische Gemeinde umfasste 1350 etwa 150 Personen.



Die alte Ebstorfer Karte (1300) zeigt Straßenzüge, Dom, Löwenstandbild und Burg Dankwarderode.
de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Braunschweig_Brunswick_Ebstorfer_Karte_(1300).jpg&filetimestamp=20080220185942

Es herrschten jedoch um diese Zeit häufig sozial als auch wirtschaftlich begründete Unruhen in den Siedlungen.
(Quelle: Geschichte der Lande Braunschweig und Lüneburg für Schule und Haus, Band 1, S. 173 ff.)

Die Tuchmacher (Lakenmacher) der Neustadt erhielten 1293 gerade auch von Heinrich, dem Wunderlichen die Erlaubnis, eine eigene Gilde zu errichten. Die Tuchmacher im Hagen hatten diese bereits seit längerer Zeit. (Quelle: Geschichte des Königreichs Hannover und Herzogthums Braunschweig von Albrecht Hüne, Band 1, S. 576)

Auch die Schmiede in allen Weichbilden erhielten 1293 das Privileg (Gilde), weiß die Stadtchronik .

Marktrechte für Wolle im Hagen sowie weitere Privilegien für die Bäcker im Sack, die Lakenmacher in der Neustadt und die Schmiede in allen Weichbildern. Die bedeutendsten Gewerbe der Stadt waren die Fernhändler, die Wechsler, Goldschmiede sowie die Tuch- und Lakenmacher. Etwa im Jahr 1250 wurde als letzter eigenständiger Stadtteil das zentrale Weichbild Sack gegründet, welches um 1300 die Stadtrechte verliehen bekam.
[size=2(Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaftsgeschichte_der_Stadt_Braunschweig]wikipedia )[/size]

Wer einen Blick in damalige Urkunden + Handwerksbriefe werfen möchte, kann das hier tun:
www.edressen.de/meistertabelle_db.php

Die Ratsleute und Ordnungshüter

In den Weichbilden Hagen und Neustadt gab es in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts ebenfalls einen Rat. Die drei Räte aus Altstadt, Hagen und Neustadt hatten sich bereits 1269 zu einem einzigen Rat zusammen geschlossen. Die Zusammensetzung des Rates variierte im Laufe der Geschichte mehrfach, 1386 hatte er 105 Mitglieder. Die laufende Verwaltung oblag einem Ausschuss des Rates, dem „Engen Rat“, der ab 1386 25 Ratsmitglieder besaß.

Hier einige Einwohner/Ratsleute, die damals in Braunschweig lebten:
- Thile Döring (* um 1250, † in Braunschweig 17.12.1318, urk. 1282-1318) war von 1293-1312 Ratsherr der Altstadt, 1395 Gerichtsherr,
 1297 Provisor des Kreuzklosters.

- Albert von Peine, († vor 1329), war von 1290-1323 Ratsherr der Neustadt Braunschweig. War mit einer Frau namens Roltes verehelicht.

- Hermann Holtnicker (urk. 1284-1317) war von 1289-1315 Ratsherr der Altstadt Braunschweig
 und in dritter Ehe mit einer Margarethe Boneke vermählt.

- Heinrich von dem Kerkhove (* Braunschweig vor 1270, † ebd. vor 1322,
urk. 1296-1320), der 1306 Ratsherr der Altstadt war, 1318 Lehnsmann des Herzogs Otto, vermählt mit Jutta Salge.

- Henning Döring († vor 1323, urk. 1290 in Braunschweig).

- Eggeling von dem Kerkhove (* um 1260, † nach 1312), Ratsherr der Altstadt, Provisor des Kreuzklosters und des Marienhospitals.

- Ludolf von der Osten, 1284 Ratsherr in Braunschweig.

- Conrad Holtnicker, 1249-1291 Ratsherr der Altstadt Braunschweig, 1250 Besitzer in Steterburg.
(Quelle: www.vogel-soya.de/Quedlinburg2.html )

Schicht der Gildenmeister

1292 gab es vermehrt Unruhen wegen aufständischer Gilden gegen die so genannten Patrizierfamilien, zu denen auch die o.g. Ratsherrenfamilien zählten. Die erste „Schicht“ fand gerade statt (1293/94) und ist uns heute als „Schicht der Gildenmeister“ bekannt.

Ursache für den Konflikt war das Drängen der Handwerkerzünfte auf eine Beteiligung an der Stadtregierung, die bis dahin von den Patriziern und Großkaufleuten dominiert wurde. Diese Dominanz der Kaufleute resultierte aus der Zunahme des Handels und seiner Bedeutung für die Stadt sowie die Mitgliedschaft in der Hanse (1245- 1490) Auf der anderen Seite verstärkten die Gilden ihren Einfluss auf das städtische Regiment. Auslöser für das Eskalieren des Konfliktes war das Eingreifen der Herzöge Albrecht II. und dessen Bruder Heinrich I. um die Vorherrschaft in der Stadt. Jeder der Brüder unterstützte eine der konkurrierenden Parteien, wobei Heinrich sich mit den Gildenmeistern und Albrecht mit der amtierenden Stadtregierung verbündete.

Heinrichs Versuch die Altstadt zu erobern unterbanden die Einwohner, indem sie Albrecht zum Stadtherren ernannten und ihm huldigten. Mit seinem Bruder erreichte er daraufhin eine Einigung über den gemeinsamen Besitz der Stadt. Den aufständischen Gilderat ließ Heinrich hinrichten und setzte den alten Rat der Stadt wieder ein. Dass trotz dieser Unruhen das Fastnachtstreiben im Jahre 1293 stattfand, ist schon recht beachtenwert.


Das Schaulaufen an Fastnacht oder Fastelabend

Gefeiert wurde zu allen Zeiten und in allen Schichten der Gesellschaft.
"Zahlreich sind die Schilderungen der Fastnacht (Fastelabend) in Braunschweig, angefangen im frühen Mittelalter. Schon damals hatten sich die Gilden mit ihren Mädchen zu maskierten Umzügen verabredet. Sie trugen an ihren Hüten Neckreime, die oftmals alles andere als harmlos waren, so dass es zu Streitereien kam.

Später, etwa im 15. Jahrhundert, waren es mehr die einzelnen Weichbilde (Stadtteile), die sich zu einem Umzug trafen. „Alle waren sehr kostbar geschmückt; die Junggesellen aus der Altstadt hatten grüne Habite mit Goldfellen besetzt und ganz spitze Schuhe an. Die überspitzen Schuhe waren damals besonders bei Adel und Schicki-Mickis beliebt. Sie wurden später wegen der Sünde des Hochmuts von Adel und Geistlichkeit ebenfalls verboten. Die Farbe Gelb-Gold war ein Symbol der Macht, während Grün nicht Hoffnung sondern hier die Aussicht auf Erfolg, aufstrebendes Wesen bezeichnete.


Tracht der Altstädter

Die Altwieker trugen vornehmlich gelbe Tracht, wie die Mode es vorschrieb mit Pelz oder Borten besetzt, um die Gewänder prunkvoller erscheinen zu lassen. Auch hier wurde ein gewisses Machtstreben durch die Farbe Gelb angedeutet. Es handelte sich dabei zweifellos um ein Signal des aufstrebenden Bürger- und Patriziertums in Braunschweig (siehe auch Altstadt-Tracht). Früher war die Farbe gelb, gold und rot nur dem Adel vorbehalten.


Tracht der Altwieker

Die Jungfrauen waren rot gekleidet und hatten Zettelchen mit Versen oder Reimen beschrieben auf ihre Röcke geheftet, auch rote Samthüte mit weißen Federn auf den Köpfen, schwarze Koller, und viele von ihnen trugen goldene Ketten um den Hals. Wobei Rot die leidenschaftliche tiefe Liebesbereitschaft signalisieren sollte, das Weiß der Federn etwas auf die "verbleibende Unschuld" der Damen hinweisen wollte. ;) Und das sie auch Mitgift mitbringen würden, zeigten Machart und Wert der goldenen Ketten.


Tracht einer jungen unvermählten Altstädterin

Ganz anders die offensichtlich züchtiger auftretende Säckerin. Diese ging vorwiegend in reinstem Weiß, was die Unschuld der jungen Frauen hervorzuheben suchte aber auch Bescheidenheit, Sparsamkeit und Zurückhaltung. Allerdings war das Dekolleté nicht so hochgeschlossen wie bei der Alstädterin. Dazu wurde ein Umhang mit Stickereien oder auch Schellen getragen. Die Leute aus dem Weichbild Sack trugen allesamt die Farbe Weiß und ihre Pferde waren mit Schellen und Glocken behangen.


Tracht einer Säckerin

Die Bürger aus dem Weichbild Hagen waren in allerlei bunte Tücher gekleidet und hatten hohe, spitze Hüte auf. Diese Buntheit war damals ohnehin im Begriff Mode zu werden. Man trug verschiedenfarbige Ärmel als Koller, die oftmals vertikal geteilt und zweifarbig gearbeitet waren. Bunte Tücher (Fetzen) und lange Zipfel wurden ebenfalls mehr und mehr Mode, sogar so übertrieben in ihrer Länge, dass die Zipfel der Ärmel manchmal bis zum Boden reichten. Auch diese Mode wurde später mit Verboten belegt.

Die Frisur deutet auf einen jugendlichen Mann aus gutem Hause hin, denn nur junge vornehme Männer aus den höheren Kreisen durften ihre Haartracht länger tragen, aber auch nur so lang, dass sie nicht die Schultern berührten. Die bäuerlichen Burschen trugen kurze Haarschnitte.


Tracht des Hägners

Die Neustädter Junggesellen trugen rote, weite Hosen von Satin, die Altstädter hatten gelbe Röcke aus Seide und trugen auf dem Kopf spanische Hüte mit Federn in allerlei Farben. Bei dieser Kostümierung zeigen sich bereits damals die Trends der heutigen Faschingsmode. Glänzender Satin, bunte Farben und Anleihen aus fremden Ländern sowie orientalische Modeeinflüsse. Das Kostüm wirkt den orientalischen Türkentrachten ähnlich. Rot und Gelb symbolisieren hier die Feurigkeit, die Verwegenheit und die Abenteuerlust des jungen Neustädter Burschen.



Rekonstruktion dieser Kostüme: Die Kostümschneiderin Heike Fennen ist am Staatstheater in Braunschweig beschäftigt und seit vielen Jahren Mitglied der Braunschweiger Karneval-Gesellschaft von 1872 e. V.
Sie hat auf Grund dieser historischen Beschreibung die hier abgebildeten mittelalterlichen Fastnachtskostüme gezeichnet, nach denen die Trachten nun geschneidert und bei künftigen Karnevalsumzügen in Braunschweig zu sehen sein werden.


"Zugordnung" dazumal

Bei einem solchen Aufzug ritten die Junggesellen mit ihren Jungfrauen durch die Straßen. An die 300 Reiter mussten es wohl gewesen sein. An den Straßenrändern standen Bürger und bestaunten die Farbenpracht. Ein jedes Weichbild hatte also seinen eigenen Zug, voran Musikanten, ebenfalls zu Pferde.

Und abends zum Bankett...

Gegen Abend wurde der Umzug mit einem großen Bankett, das oft bis spät am anderen Morgen dauerte, beendet. In einem Braunschweiger Volkslied heißt es: „Sie tanzten hin und tanzten her, gleich ob es vor der Fastnacht wär.“ Es wurde die Nacht zum Tag gemacht, die Junggesellen voller Übermut ritten auch noch
laut johlend durch die dunklen Gassen.

1544 - Schluss mit lustig

Etlichen Ratsherren und Predigern gefiel dieser Lärm ganz und gar nicht, und sie bemüh-ten sich, dieses Fastnachtstreiben abzuschaffen. Deshalb verbot der Rat der Stadt Braunschweig 1544 den Aufzug mit Pferden. Es durfte künftig nur noch zu Fuß gegangen werden.

Das Dekret ist leider nicht mehr erhalten, wohl aber wird in der Stadtordnung von 1573 das „Fastelabend laufen“ in Maske, sowie ungehöriger nächtlicher Lärm bei Strafe eines Guldens verboten. Allerdings vergebens, da dieses Brauchtum zu tief verwurzelt war.

Statt Umritt Steckkränzelstechen

An Stelle des Umrittes trat eine Art Turnier, das Reiten um Steckkränze, bei dem man mit einer Lanze einen Kranz herunterstechen musste. So wird vom 15. Februar 1570 berich-tet, dass mehrere Patrizier zunächst vor dem Rathaus Steckkränze stachen, später auf dem Hagenmarkt, sie „stachen aber nicht alles ab“, heißt es in einer Aufzeichnung, was auf mangelnde Geschicklichkeit zurückzuführen sein soll.

Wurstsammeln


Wurstammelbrauch 1950 - die Tradition hat sich bis heute in diversen niedersächsichen Gegenden im Faslam erhalten

Übermütige junge Leute liefen fechtend umher oder zogen durch die Gassen, um Würste zu „heischen“. Mit diesen Würsten und anderen guten Dingen gab es am folgenden Abend ein lustiges Festessen. Jede Gesellschaft feierte für sich drei bis vier Tage lang bis Aschermittwoch. Dieser Brauch hat sich auch im Norden und Niedersachsen bis heute erhalten, dazu später mehr. So kamen die sogenannten Gelagebrüder der Altstadt meist mit ihren Frauen und Jungfrauen in dem Altstadtrathaus oder später im Gewandhaus zusammen und hielten ihr „Kunstavelgelage“, so genannt, weil jährlich gewählte Konstabler die Feier leiteten.

„Die Mummebrauer (Mumme = ein Braunschweiger Bier) hielten ihr üppiges „Mültergelage“. Die Patrizier luden
dazu den Rat und die Geistlichkeit ein.

Die Anfänge der Fastnacht in Braunschweig liegen weit zurück. Für das Mittelalter finden sich bisher vier Belege, die das Schau (Scheuch)teufellaufen in Braunschweig nennen. Der Stadtschreiber Hermann Bote erwähnt es kurz für das Jahr 1293 und ein zweites Mal für das Jahr 1445 („lepen sunderlike Schoduvel“ = liefen eigens Schauteufel) ohne weitere Erläu-terungen. Im Februar 1360 einigte sich der Rat mit denjenigen, die gegen seinen Willen Schauteufel gelaufen sind.
Im September 1370 wird im Testament des Rolef von Velstede ebenfalls der Schauteufel erwähnt. diese vier Erwähnungen sind in den Urkundenbüchern belegt, die im Stadtarchiv
aufbewahrt werden.

Die Funktion des Schauteufellaufens erklärt Professor Hartmut Broockmann wie folgt: „Damit ist das öffentliche Tragen von Masken gemeint, das rituelle Durchbrechen der öffentlichen Ordnung an besonderen Tagen, zur Fastenzeit zumal. Doch konnten diese rituellen Überschreitungen des üblichen Verhaltens über die gewöhnliche Funktion hinaus spezifische Bedeutung annehmen. So konnten mehrdeutig und im besonderen Falle mehr sein als ein durch Gewohnheit bestimmtes Ventil.“ (Hartmut Broockmann. Eine Krise im Zusammenleben einer Bürgerschaft und ein `politologisches´ Modell aus dem 15. Jahrhundert.)

Ein weiteres Werk, in dem man Hinweise auf den Schoduvel findet:
- „Der Braunschweiger Chronist Hermen Bote über den Aufstandsversuch von 1445/1446, in Hermann Bote, Städtisch-hansischer Autor in Braunschweig 1488-1988, hg. von Herbert Blume und Eberhard Rohse, Tübingen 1991)

- Das Mittelniederdeutsche Handwörterbuch, hg. von Gerhard Cordes, Bd. 3, bezeichnet das Schauteufellaufen als „festen Brauch in den auf Weihnachten folgenden Tagen (beginnend mit dem 1. Weihnachtstag), am Silvesterabend und zur Fastnacht“ und weist darauf hin, dass es wegen des dabei verübten Unfugs von der städtischen Obrigkeit vielfach verboten wurde. Außerdem waren es „bei Auseinandersetzungen innerhalb der Bürgerschaft auch unabhängig von den oben erwähnten Zeiten als provokatorischer Akt einer Partei gegen die andere.“

Spaßverderber: Dem Volk den Übermut austreiben und vom Widerstand des Volkes

Wir hören also immer wieder von Verboten und Empörung der Obrig- als auch Geistlichkeit, die dieses Treiben zu unterbinden suchten. Im Fasnachtsbrauch zeigt sich aber zudem, wie aufständisch das normale Volk als auch die städtischen Bürger waren und sich gegen diese stetigen Bevormundungen von oben herab aus den Reihen der Herrschenden wehrten.

Das uralte Fasnachtstreiben und seine Ursprünge

Das trug sich um das Jahr 1293 in unserer Stadt zu Faslam, Fastnacht - oder später auch Karneval genannt - zu. Aber natürlich sind diese Bräuche und Anlässe zum Feiern im Winter oder zum nahenden Frühjahr hin wesentlich älter. Dies zeigt uns insbesondere die alte Figur des Schoduvel (Scheuchteufels), der in Braunschweig eine wesentliche Rolle beim Fasnachtsbrauch spielt. Dazu jedoch das nächste Mal...

Viel Vergnügen
Helmhut

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12 Jahre 1 Monat her - 12 Jahre 1 Monat her #7007 von Sonnenschein
Hallo Liebe MitleserInnen,

der vorangegangene Kommentar von Helmhut, hat mir dann glatt, den Schoduvel näher gebracht!
@Helmhut Danke!
Und das mir, der das kollektive Besäufnis ein greul ist...lach.

Man soll nie an seinen Vorurteilen (auf)hängen bleiben und "der Kopf ist rund damit das Denken die Richtung ändern kann"...lach ;)

www.braunschweig-online.com/bibs-forum/38-flughafenausbau/1002-waldvernichtung-a-karneval.htm

Und nun macht die Anti-Atom- Bewegung auch wieder mit!

Das grosse ASSE Schiff soll wieder fahren und die schon 2010 Mitlaufenden, als Atommülltonnen verkleideten Anti-Atom Aktivisten aus WF/ Vahlberg/ BS/ Sickte laufen auch wieder rund um das Schiff mit!

(immer im Hinterkopf behalten, die Grünen haben dieses Schiff,nicht alleine zu Wasser gelASSEn ;).
Das "Fassvolk" sind Pateiunabhängige Anti-Atom-AktivistInnen gewesen!)


Lieben und aktivistischen Gruß Sonnenschein B)

P.S.: wichtig zum machen und weitersagen:

zertifizierter Ökostrom, ca.2 Euro teurer als Atomstrom, von BS Energy mit 25% Atomstrom im Mix!
Verhindert das sie bei und in den nicht geeigneten Schacht KONRAD und mitten im Wohngebiet,neben einen Kindergarten (!) in BS Atommüll Konditionieren wollen!

Letzte Änderung: 12 Jahre 1 Monat her von Sonnenschein.

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12 Jahre 1 Monat her #7041 von Helmhut
Danke für das Interesse @ S :) nnenschein!

Schoduvel - Der alte Freigeist
Von alten Bräuchen rund um Faslam, Faslom, Fasenet, Fasnacht, Fasching und Karneval

Die Anfänge der Fastnacht in Braunschweig liegen also bedeutend länger als die davon erstkündenden Urkunden aus dem Jahre 1293 zurück.

Wie bereits im vorigen Beitrag beschrieben, liegen uns für die Existenz eines "Schoduvel" (Scheuchteufel) bisher zwar nur vier Belege. Auch das man in Ratskreisen und unter der Geistlichkeit dieses Treiben nicht sonderlich gerne gesehen und häufige Verbote ersonnen hatte, ist uns mit diesen und späteren Belegen eindeutig bewiesen.


Kostümpuppe des Hargaverwürger aus der alemannischen Fasnet
Er trägt einen blauen Bauernkittel und eine weiße Hose aus Leinenstoff. Er hat rote wadenhohe gestrickte Strümpfe und schwarze Halbschuhe an. Der Maske wurden Hörner von "Rindviechern" aufgesetzt. Hauptstück des Kleides ist ein Überwurf aus Tierfell einer Kuh oder Kalb, mit vorne und hinten befestigten dunklen Glocken (Schellen). Eine Kette verbindet die gegerbten Teile. Auffallend aber ist ein Strick (Hanfseil) der neben zwei Taschentüchern die Erinnerung an die " Verwürgerei " ("frwerchn" verwürgen, in Unordnung bringen, verdrehen, Erwürgen/Ersticken des Viehs, aber auch Seile drehen, verwinden) von anno dazumal wach halten soll. Der Hagaverwürger führt ein Narrenbuch und ein Korb mit sich.

Jürgen Hodemacher, Mitglied des Traditions-Ausschusses im Bund Deutscher Karneval, schreibt: "Alljährlich wird der Schoduvel vor dem großen Karnevalsumzug in Braunschweig hergescheucht. Das alte Brauchtum Fastnacht wird in Braunschweig sehr gepflegt."
Schaulaufen an Fastnacht.doc (1,6 MB)


Moderne Schoduvel-Grafik für ein Werbeplakat "Braunschweiger Schoduvel"
Braunschweiger Karneval/Geckodesign 2009
www.grafikdesign.com/ gd/was/kar901_schoduvel.php


Tut mir leid, Herr Hodemacher, hier wird zwar altes Brauchtum beschworen, aber der so sehr "gepflegte Brauch des Schoduvel-Treibens war überaus lange vergessen, vernachlässigt und erst aufgrund einer eher marketinglichen Identitätssuche wurde der alte Teufel wieder aus der Kiste gezaubert. Das wirkt eher weniger überzeugend, wenn hier 300 Jahre Schoduvel-Amnesie ins Braunschweiger Land gehen mussten. Auch ansonsten wurde alles, was mit Fasching oder Karneval zusammen hing jahrhundertelang unterdrückt. Wer das nicht sieht, verkennt die Gründe, den Nutzen und den eigentlichen Ursprung des Faslam-Brauches.


Kostümpuppe - Teufelsfigur aus der Alemannischen Fasnet
"Dauchinger Teufel"
Die Legende dazu sagt, dass in den rauen Winternächten früherer Zeiten, das Vieh in den Ställen der Dauchinger Bauern aus unerklärlichen Gründen reihenweise starb. Hierbei vermutete man, das es nicht mit rechten Dingen zuginge und der Teufel seine Hand im Spiel hätte. Angelehnt an diese Begebenheit erschufen die Gründer die Figur des  „ Dauchinger Teufels. Er trägt einen schwarze Fellanzug und einen roten Cordumhang. Besonders hervorstechend ist die geschnitzte hölzerne Teufelsmaske. An der Maske wird dann noch ein Kalbfell befestigt das bis über die Schultern herabfällt. Weiter führt der Dauchinger Teufel eine Gabel aus Haselnussholz und einen Fuchsschwanz mit.

Nun aber möglichst weit zurück in die möglichen Anfänge - oder...

Wie die Braunschweiger zu ihrem Schoduvel kamen

Lassen wir uns zunächst von einem Professor über Funktion und etwaige Ansinnen eines Schoduvel erläutern:

"Die Funktion des Schauteufellaufens" erklärt Professor Hartmut Broockmann wie folgt: „Damit ist das öffentliche Tragen von Masken gemeint, das rituelle Durchbrechen der öffentlichen Ordnung an besonderen Tagen."

Das (rituelle) Durchbrechen der öffentlichen Ordnung und dies nur an besonders festgelegten Tagen, demzufolge also Riten, Ritual, feste Tage der Rituale und auch etwas anders tun als man es sonst zu tun pflegte sollen Ursprung des Bedarfs am Braunschweiger Teufel sein.

Verständlich hier, dass die Störung der öffentlichen Ordnung wohl meist nicht den gewohnten Alltag und die Ordnungsliebe der städtischen Obrigkeiten gepasst haben wird, allerdings dann gleich die Frage: Hätten wir dann überhaupt noch Feste, Feiertage oder sonstige Riten, die den Alltag mal unterbrechen?

Was wäre dann mit Weihnachten, Ostern, Urlaub, Ferienzeit? Was mit Sonntagsruhe und mit Arbeitsniederlegungen, um die Messe zu besuchen? Und was mit den heutigen verkaufsoffenen Sonntagen? Schwerlich vorzustellen, wenn hier nicht eine gewisse flexiblere Haltung vonnöten gewesen und sich die steife Obrigkeit gänzlich durchgesetzt hätte. Nicht nur für das einfache Volk, sondern auch in rein wirtschaftlicher Hinsicht für die Steuersäckel der feinen Ratsherrenschaften.

So boten doch gerade Feste reichlich Spaß und damit Zulauf aus der Umgebung, so dass an einem Ort doch der Konsum enorm zu steigen begann. Ein Fest ist ja quasi nichts, wenn es dort nicht auch reichlich zu essen und zu trinken gebe und auch sonst allerlei Dinge, zu der man sonst kaum kommt oder Zeit hat. Also waren die damaligen Ratsherren nicht ganz so - sagen wir mal - erleuchtet von der sozialen Marktwirtschaft.

Offenbar hatte man mehr Angst vor einer wilderen ausgelasseneren und oft auch närrischen Bürgerschar damals als vor einer grimmigen, wütenden und verärgerten, weil der Spaß von oben herab verboten wurde, wer weiß?

Und auch die Geistlichen - geradezu die Adaptionisten alter Kulte und Riten - welche ja ihre sonntäglichen Mess-Riten als auch die ihrer christlichen Feiertage solange ein Bürger denken konnte, vollzogen, fand es nicht sonderlich erfreulich, wenn man Heidenspaß hatte, der in den kirchlichen Riten eben deutlich zu kurz kam. Das ist zwar nachvollziehbar, doch ziemlich merkwürdig, wenn man denn einen gewissen Gerechtigkeitsanspruch hegen sollte. Aber um Gerechte ging es damals weder der Stadtobrigkeit noch dem geistlichen Würdenstand. Es galt, das Volk zu bändigen. Man hatte Angst vor Freizügigkeit, Freiheit und freiem Gedankengut, das sich ja meist beim freien Tun von selbst einstellen konnte.

Der Schoduvel - ein Freigeist

Schoduvel also ein Symbol von Freigeist? Betrachtet man, wann, wie und warum verboten wurde auf Teufel-komm-raus, muss man diese Frage sicherlich bejahen.
Schoduvel, nicht nur ein Freigeist im mittelalterlichen Ranggefüge der Standesdünkel (Bettelmann, Gesinde, Knecht, Bauer, Söldner, Mönch, Ritter, Fürst, König, Kaiser) sondern auch ein besonders alter Geist, der da am Faslam auf den Marktplätzen, in Dörfern und Städten auftauchte und sich reger Anhängerschaft erfreuen konnte.

Dieser Geist - uralt, hatte trotz Kirchenriten, Christianisierung, straffer Alltagsorganisation und Ständewesen überlebt. War nicht tot zu kriegen. Andere Geister, wie Lichtgötter, die starben und jedes Jahr wieder auferstanden, hatte man mit Jesus Christi sehr gut occupieren können. Und der alte Druide im langen Gewand war dem neuen Ein-Gott-Priester so verdammt ähnlich und auch er murmelte irgendwelchen unverständlichen Zauberworte, die nur den EingeWeihten verständlich, dass es am Ende kaum noch eine Rolle gespielt hat, ob der den Teutones, Wotan, Odin oder Christengott diente oder nicht.

Weshalb hat dieser alte Freigeist überlebt?

Nicht, dass es die Geistlichkeit nicht versucht hätte. Sie hatte es sogar sehr klug begonnen. Da es in früheren Zeiten oftmals im Winter nicht viel zu Essen gab, prasste man von den Vorräten nochmal zum Winterfest (Lichtgott, später Weihnachten) und dann teilte man die Vorräte sorgfältiger bis zum Winterende hin ein, um über den Winter zu kommen. Das waren karge Zeiten, die Vorräte also wichtig. Zeigten sich dann die ersten Schneeglöckchen, wusste man, dass bald wieder wärmere Zeiten und damit der Vorfrühling kommen würde. Das war meist so um den Februar/Anfang März herum.

Hätte man nun die Bevölkerung nicht zivilisieren können, wären vermutlich bei den mageren Ernten des Mittelalters und den ohnehin häufigen Hungersnöten als auch ressourcenraubenden Epedemien und Krankheiten die letzten Vorratskammern geplündert worden, bevor die erste Ernte auf dem Feld herangereift war. Was also tun?

Und hier hatte die politisch als auch sozial bedeutende Kirche ihren Auftritt. So predigte man allen eine Essens-Auszeit. Na ja, genau genommen natürlich nur fast! Denn essen durfte ein jeder, aber nicht alles und nur ausgewählte Speisen. Das wurde dann "Fasten"-Zeit genannt und hat mit dem ursprünglichen "Faslam" aber rein gar nichts zu tun, auch wenn es so klingen mag.

Das später in Gebrauch kommende Wort "Fas(el)nacht" oder "Fasnacht" kommt von "fasa", bleibt aber ebenfalls recht unklar. Am wahrscheinlichsten scheint ein Anschluss an eine indogermanische Verbalwurzel *pwos- mit der Bedeutung reinigen, läutern, fasten. Hier wurde also aus Faslam (Faselabend) einfach "fasten". Dennoch, so ganz ließen sich trotz des neuen "Fastenfestes" die alten Riten und Bedeutungen im niederdeutschen als auch alemannischen Raum unterbinden.

Gerade im niederdeutschen Raum heißt es plattdeutsch Faslaomt oder Faslam - dabei entspricht der Faslam in protestantischen Gebieten nicht dem, was gemeinhin unter Karneval verstanden wird. Also hat hier die Kirche gehörig an der Verfälschung des alten Wortes "Fasnacht" mitgewirkt, in dem sie es mit "Fastenzeit" und fasten gleichsetzte. Und so konnte auch der große Reformator, Martin Luther - recht logisch klingend - überall verkünden: "Wenn wir nicht mehr fasten, was brauchen wir die Fasnacht?" Alle haben scheinbar damals genickt und sich damit den alten Widerstand und Freigeist nehmen lassen - mit dem Segen der Kirche selbstverständlich! Das war dann besonders närrisch, wie ich meine.

Waren doch diese Festivitäten und Abläufe auch ein gutes sozialgesellschaftliches Ventil. Humor und humorvoll verpackte Kritik schafft doch Ausgleich und friedliches Miteinander als strenge Verbote und das stressige Kontrollieren seitens einer immer unbeliebter werdenden Obrigkeit, die sich damit gelegentlich völlig überfordert und weniger Zeit für ihre wirklichen Aufgaben gehabt haben dürfte. Ähnlich der Inquisitionszeit, wo man auf großteutsche Hexenjagd ging und die Gerichte beschäftigte. Aber es kam ja dann etwas mehr Bildung ins finstere Mittelalter und so bekam davon auch unsere Ratsherrlichkeit etwas ab. Man wurde klüger und heute macht man das entschieden anders. Dazu später mehr.

Wie sah der Schoduvel nun aus?

Eine alte Beschreibung, wie denn der Schoduvel im Jahre 1474 ausgesehen hat, findet sich in Bürgermeister Henning Brandes' Tagebuch ("Henning Brandis Diarium", Hildesheimische Geschichten 1471 - 1528/Herausgeber Ludwig Hänselmann, Hildesheim 1896, S. 29).

"Er ist ein „in schwarzes Tierfell Vermummter mit Teufelsmaske vor dem Gesicht“ (siehe auch "Mittelniederdeutsches Handwörterbuch", Band 3 SP.111). Hingegen beschreibt der spätere Hildesheimer Bürgermeister Henning Brandes in seinem Tagebuch für das Jahr 1474 die Bekleidung als „grau und rot“, die Maske ebenfalls als „grau und rot“, darüber ein „Filzhut mit drei Straußenfedern, alle grau und rot; die mittelste weiß versilbert, um den Hut einen braunen Schleier von einer halben Elle Länge, den linken Ärmel mit Spangen versehen“
Der Braunschweiger Künstler Thorsten Koch hat das Kostüm des Schoduvel nach den Angaben aus dem Mittelniederdeutschen Handwörterbuch geschaffen.

Wenn wir dem Ur-Schoduvel und den damit verbundenen alten Riten jedoch auf die Spur kommen wollen, schlage ich hier eine Art "Rückwärtsschrittchen-Forschung" vor, weil man damit weniger fehl geht und torhafte, übertriebene Spekulationen vermeidet, so man denn den tatsächlichen Kern des Faslams samt Schoduvel-Figur ergründen möchte.

Also orientieren wir uns erst einmal an dem, was wir hier geschildert bekommen:

Wie gesagt, uns wird hier ein reichlich domistizierter Schoduvel vorgeführt, schließlich kommt die Beschreibung aus dem Jahr 1474, wo man bereits zivilisierten Umgang pflegte und sich als Citizen betrachtete, also als Stadtbürger. Gepflegte Manieren, Stände- und Standesbewusstsein, Adaption der Hofetikette des Adels etc. Dieser Schoduvel des 15. Jahrhunderts trägt ein pfiffiges Hütchen mit Federschmuck und auch ansonsten, wenn man mal von dem doch ruppigen Tierfell absieht, eher wie ein Bürger in Kostüm. Nur die Maske in grau und rot, verrät uns, dass die Figur kein Menschenwesen darzustellen sucht.

Im Mittelalter war im Gegensatz zu unserer heutigen Zeit nichts rein als Schmuck oder leere Zier. Alles hatte eine Bedeutung und "sprach" sozusagen. Das galt für Farben, Formen, Kleiderordnung, Gesten, Accessoires, Dinge und Gegenstände - auch jenen des alltäglichen Gebrauchs. Da die Leute mehrheitlich nicht lesen konnten und in älteren Zeiten überhaupt kaum Schriftliches verfasst wurde, kommunizierte man eher bildhaft und mit optischen Signalen. So wusste jeder die Symbole und ihre (für uns heute) versteckte Botschaft oder Nachricht (Information) praktisch sehen, lesen und verstehen. Vergleichbar mit unserer heutigen Kleiderordnung. Da gibt es noch heutzutage so genannte "ungeschriebene Regeln", die uns zeigen, mit welchem Menschen wir es vielleicht gerade zu tun haben.

Natürlich gab es im bildsprechenden Mittelalter auch eine Kleiderordnung. Diese war noch enger und strenger gefasst, als unsere heutige moderne. Es gab, wie bereits im Beitrag zuvor angedeutet, klare Vorschriften, wer was tragen durfte und wem es verboten war, bestimmte Farben, Formen, Accessoires oder auch Frisuren zu tragen. Wer heute über Bürokratie stöhnt und denkt, die wäre ein Unding der Neuzeit, irrt gewaltig. Sie wurde bereits im Mittelalter erfunden!

Während für die Bauern mittlerweile schwarzes und graublaues "Zeug" vorgeschrieben war, durften sich außer den Adligen auch die Geistlichen an den farbenprächtigen Gewändern erfreuen, bis - ja bis ihnen im 13. Jh. dies strikt untersagt wurde.
Die schwarz-graue Farbe als auch Blau deuten also auf bäuerliche Herkunft hin. So ordnete ein Kölner Konzil im Jahre 1281 an, dass es für Kirchenangehörige nicht erlaubt sein sollte, rote und grüne Stoffe, Schmuckärmel und Schnürschuhe zu tragen.
Die langen Mäntel von halbrunder Form wurden im 12. und 13. Jahrhundert nicht mehr wie bisher auf der rechten Schulter gefibelt, sondern durch eine Schnur oder eine kleine Kette vorne am Hals zusammengehalten. Die Schnüre oder Ketten führten zu zwei Schmuckstücken am Mantel, die großen Broschen glichen und "Tasseln" genannt wurden. Nach ihnen erhielt dieser Mantel die Bezeichnung "Tasselmantel". Die Spange des Mantels war - nebenbei erwähnt - eine Art Abzeichen der Ehrbarkeit. In Marseille z.B. war es leichten Frauenzimmern verboten, mit Spangen besetzte Mäntel zu tragen.

Unser Schoduvel von 1474 trägt vornehmlich zwei Farben. Das war üblich, um eine optisch eindeutige Signalwirkung selbst auf weite Entfernungen zu garantieren. Gleiches, die strenge Unterteilung in möglichst wenige Farben, galt auch für die Heraldik (Wappenkunde). Ursprünglich waren ja Wappen die Schilde der ritterlichen Herren, die mit Signalen bemalt wurden, um ihre Herkunft von Weitem bereits gut sichtbar anzukündigen - der Schild also eine überdimensionale Visitenkarte! Später wurden diese pictogrammartigen symbolhaften Zeichnungen als Wappen verwendet und konnten so - in verkleinerter Version - besser auf Urkunden, in Siegelringen oder am Haus untergebracht werden.

Rot ist nicht nur die Liebe...

Es war also wichtig, möglichst kontrastreiche wenige Farben als Signal zu verwenden. Unser Schoduvel war vornehmlich in Rot und Grau gekleidet.
Wie wir wissen, ist Rot grundsätzlich die Farbe von Leidenschaft. Leidenschaftlich können daher Liebe, Leben, Blut, Fruchtbarkeit, Feuer, Glut, Hitze, Wärme - aber auch Hass, Krieg, Feuersbrunst, Höllenglut- und Höllenhitze sein. Später kam auch im Zusammenhang mit dem Kriegsaspekt der "rote" Königsmantel (Kriegsherr = Machthaber) dazu.

Das ambivalente wird hier schon deutlich. Nur, weil der Schoduvel auch den "Duvel" (Duwel/Düwel) beeinhaltet und Rot trägt, muss er eben nicht zwangsläufig auch im Ursprung ein Höllengeist, ein Teufel oder Unhold sein. Im Rot seiner Kleidung und seiner Maske können also auch Lebensprinzipien (Blut = Lebenssaft), Fruchtbarkeit, Wärme, Liebe (auch Sexualität) als auch die tiefe Leidenschaft zu all dem stecken. Die religiösen Vorstellungen unserer Vorfahren war niemals so streng wie unser heutiger christlicher Glaube. Die damaligen Gottheiten waren oft "zweigesichtig" - also weder gut noch böse. Sie hatten durchweg alle aufbauenden, lebensspendenden als auch zerstörerische, todbringende Aspekte. Und das können wir getrost unserem Schoduvel als Naturgeist am Ende der kalten, oftmals Hunger und Tod bedeutenden Winter bis zum beginnenden Frühjahr mit seiner Wärme, der aufblühenden Wiederbelebung der Natur, zuschreiben.

Die zweite Farbe, "Grau", die der Braunschweiger Schoduvel 1474 zu tragen pflegte, symbolisiert eine Mischung aus Schwarz (Dunkel, Alter, Wissen, Trauer, Tod, Sterben als auch Unsterblichkeit, Ewigkeit, Dämonisches, Geheimnis, Verzicht, Versagen) und Weiß (Licht, Reinheit, Keuschheit, Unbeflecktes, Unschuld, Kindlichkeit, Naivität, Klarheit, Wahrheit). Auch hier ergibt sich ein recht ambivalentes Farbsymbol, das der Schoduvel im Kostüm trägt. Diese Zweigesichtigkeit erinnert sicherlich auch an den altrömischen Janus-Gott, der ebenfalls zwei Aspekte als auch zwei Gesichter in sich trug, oft auch als Schmuckmedaille an den Türangeln angebracht, was als Symbol für Ein- und Ausgang, Tür(hüter) zu den Zwischenwelten, Verbindung zwischen innen und außen stand. Die Farbe grau war zudem später im Mittelalter neben Schwarz und Grau die Farbe der bäuerlichen Gemeinschaft, der Bauern schlechthin. Der Schoduvel kam aus einfachen Kreisen, einer von uns sozusagen. Er stand für Zuverlässigkeit, Bescheidenheit als auch für Schlichtheit.

Insgesamt ist also der Schoduvel als Geist einer Trendwende zu betrachten. Ein Bindeglied zwischen Winter und Frühling, Tod und Leben, Kälte und Wärme.
Aus älteren Quellen kommt noch das "schwarze Tierfell" und "weißer Federschmuck" als Merkmal dazu. Hier mag unser Schoduvel noch direkter, ursprünglicher als Kontrast-Halter Darstellung gefunden haben. Dass er ein Tierfell um seine Gestalt getragen hat weist auf noch ältere Quellen hin.


Schamane in Tierhaut mit Trommel

Sehen wir uns um in der Frühzeit der Menschheit, was hatten die damaligen Menschen einer gnadenlosen Kälte (Eiszeiten inbegriffen) denn entgegen zu setzen? Kalorienreiche Nahrung, also Fleisch (was sich bei Kälte ja besser konservieren und bevorraten ließ), Tierhäute (Felle) als wärmende Zugabe, Sehnen, Knochen als Jagd- und Werkzeugmaterialien. Ein wärmendes Feuer zum Schutz gegen Wind und Witterung als auch Kochstelle. Wie mögen wohl die damaligen Götter ausgesehen haben? Tiere waren nicht nur wichtig als Nahrungsquelle, sondern auch bestens ausgestattet fürs Überleben in der Winterzeit. Das konnte unser früher Vorfahr leicht feststellen. Angesichts der Schnelligkeit, der Selbstversorgung, der guten Sinne, mit denen ein jedes Tier erheblich leichter diese langen harten Winterzeiten überleben konnte, war der Mensch geradezu mickrig ausgestattet. Nur sein Verstand (der für seine Reife ja unbedingt diese Fleischreserven, also ziemlich viel Nahrung benötigte) war besser, vielseitiger ausgestattet. Die Flexibilität dieses "Organs" konnte viele Mängel spielend überbrücken und Provisorien schaffen. Die beste Überlebensstrategie des Menschen war somit sein Geist.

Steinzeitliche Felsmalerie eines in ein Tierfell gekleideten Menschen

Mit Hilfe des Geistes ersann er sogar, sich empathisch in andere Mitmenschen, Dinge, Pflanzen, Tiere und sonstige Systeme hinein versetzen zu können. Eine gewisse Ahnung (< hier steckt das Wort "Ahn" drin!) zu verschaffen, was wie vorgeht im anderen "System". Und um das noch verstärkter tun zu können, kroch man auch konkret in die Haut des Tieres, das man zu ergründen suchte. Man zog sich also ein Fell, eine Tierhaut (möglichst mit Kopf und Gesichtszügen des Tieres) über, je nach dem, welches Tier man sich auserwählt hatte. Geweihe, als Sinnbild und Auswuchs des Geistes (Verstandes) und der Fantasie wurden ebenfalls gerne benutzt, um sich göttlicher Inspiration anzunähern.

Alte Illustration eines Schamanen, Fellgewand mit Geweih und Trommel

So kamen die ersten Totemtiere auf, die wir von vielen nativen Stämmen Nordamerikas kennen. Da niemand Tier, Baum oder Umwelt vom eigenen Menschsein so abtrennte, wie wir es heute tun, war eben alles Natur. Und wer sich heute noch mit natürlichen Dingen, Systemen, Abläufen beschäftigt, wird feststellen, wie gut die Natur im Laufe der langen Evolutionszeiträume Zeit hatte, dass vieles, was passte und hervorragend funktionierte erhalten blieb (bis heute) und das, was nicht funktionierte, gar nicht mehr da ist, weil es ja eben nicht funktioniert hat. Also wirkt die Natur (obgleich sie dauernd Fehler macht) perfekt auf uns Menschen. Vor dieser augenscheinlichen, sehr ichbezogenen Sicht heraus, ist es ganz klar, dass man als Individuum (mit einer sehr kleinen begrenzten Lebenszeit im Rucksack) wahrlich staunen muss vor so viel Sinn, Plan, Passgenauigkeit und Perfektion. Das muss gerade zu geplant worden sein, mag man denken. Aber wer ist der unbekannte Planer?

So war es anfangs die hautnahe, tief empfundene Ehrfurcht gegenüber diesem perfekt scheinenden, den Menschen, aber auch alles Drumherum so gut versorgenden System, auch Natur genannt, dass man sie als eine Art "perfektes", gottgleiches oder - besser gesagt - als göttliches Wesen interpretierte. Natur gleich Gottheit. Und jetzt mal ein Test: Welche Eigenschaften hat der spätere Eingott, die man nicht auch der Natur als Gottheit zuschreiben könnte? Perfekt, allwissend, Versorgerpotenzial (Vater, Mutter, Herr) einzigartig, streng strafend bei Vergehen, Fehlern, den Menschen liebend, ewig während, unsterblich, im Wesen unsichtbar, nur in Taten sichtbar werdend. All das triftt auf den Eingott der Christen genau so zu wie auf Mutter Natur.

Um also die Natur der Natur als Gottheit besser zu verstehen, schlüpfte man in ihre nahe Wesen (perfekte Tiere), die man verehrte, für stark, kräftig, mutig und schnell hielt, in der Hoffnung, sich für das eine oder andere Vorhaben mit Stärke, Kraft, Mut oder Schnelligkeit zu versorgen. Selbst fliegen wollte man können und so kleidete man sich neben Fellen auch häufig in Federschmuck (beflügelte also seinen Geist). Diesen Federschmuck trifft man bei den nativen Stämmen in Nordamerika als auch noch heute bei nativen Völkern auf Papua-Neuguinea, die ja oftmals noch wie in der Steinzeit leben. Aber auch die europäische Antike weist Tierfell- und Federkulte an Kopfbedeckungen auf, z.B. das Goldene Vlies oder der Flügelhelm des Götterboten Hermes. Auch der Schoduvel trägt Federn auf dem Haupt, so berichtet Henning Brandes in seinem Tagebuch im Jahr 1474 trug der Schoduvel einen Hut mit drei (Straußen)Federn (alle grau und rot und die mittlere versilbert).
Um den Hut einen braunen Schleier von einer halben Elle Länge.

Nicht nur die Anzahl der Federn (drei) sondern auch ihre Farben sprechen zu uns. Hier wiederholt sich als Ur-Sinnbild die Trikolore der damals benannten alten Jahreszeitaufteilung "Frühling,Sommer, Winter", denn den Herbst, wie wir ihn heute aufteilen, kannte man damals nicht als eigenständige Jahreszeit, sondern rechnete ihn in seiner frühen Hälfte (Erntezeit, Heumonat) noch dem Spätsommer zu, während man das Herbstende mit Holzmonat, Schlachte-, Wolfs- und Nebelmonat bereits der Winterzeit zuordnete. Jeder Jahreszeit waren sinnbildlich Farben zugeordnet: Weiß für das Frühjahr, rot für die Hochzeit, also den Sommer und Schwarz dem Winter. Schwarz-weiß-rot, im Märchen Schneewittchen begegnen uns diese alten Farben wieder. Das Frühjahr, oft als junges Mädchen dargestellt, rein, frisch und unschuldig; die Hochzeit, der Sommer als vermählte junge Frau in höchster Blüte, fruchtbar, lebensspendend, leidenschaftlich und der Winter, eine alte mysteriöse geheimnisvolle Alte in Schwarz.

Das erinnert uns auch an die drei alten römisch-griechischen Moiren, Parzen, Schicksalsgöttinnen, von denen die erste den Lebensfaden aufnimmt, die zweite ihn wirkt und die dritte den Faden wieder durchtrennt. Eigentlich sind also die Jahreszeiten genau wie das Leben eines Menschen in diesen Dreierfiguren sinnbildlich erfasst. Darum auch auf dem Hut des Schoduvel ein Symbol der Gesamtheit des Lebens und der Schöpfung schlechthin.

Vielleicht ist der Hut, der ja doch im Gegensatz zum Tierfell-Kleid des Schoduvel recht modisch und wie Kopfputz wirkt bereits ein Kleidungsstück, welches später erst auf den Freigeist gekommen ist, der damaligen schicken Hutmode geschuldet, die bei den späteren Festen ja eine wesentliche Rolle gespielt hat. Auch der braune Schleier um den Hut ist teils traditionell übernommen, teils modisch.

Was ein Schleier bewirkt, wissen wir noch heute. Er verbirgt, aber macht auch neugierig, weil er eben durchscheinend ist. Der Betrachter kann von außen einige vage Konturen erkennen, rätseln und raten, wer oder was sich hinter dem Schleier verbergen mag, während der, der einen Schleier trägt Schutz vor Entdeckung hat, hinter dem Schleier alles beobachten kann, was vor dem Schleier vorgeht, aber niemand so leicht die Identität des Schleierträgers entdeckt. Also symbolisiert der Schleier hier Geheimnis, Rätselhaftes, Mysterium und Göttlichkeit. Zudem soll der Schleier von brauner Farbe gewesen sein.

Braun, eine Mischung aller Farben, wie man sagt, erdfarben, natürlich, weist auf die Art der verschleierten Gottheit hin. Schoduvel ist von erdverwachsenem Naturell, entspringt der puren Natur, die man nie so ganz erfassen kann, die vieles möglich macht und die man daher bewundert.

Am linken Ärmel, so schien es Brandes wichtig, trug er eine Spange. Zweifellos ebenfalls ein Detail aus der Zeit des Mittelalters, wo edle Damen und Herren überaus reich mit Schmuck behängt waren, diesen herzeigten, um ihren Wohlstand zu präsentieren.
Dabei waren besonders auch Spangen und Fibeln an den Schultern, später Armreife an den Ärmeln beliebt. Die frühen Fibeln hielten die schweren Manteltücher, ähnlich einer großen Sicherheitsnadel, dienten aber bereits immer als aussagekräftiges Detail. So trugen sie oft Ornamente, die eine Symbolik hatten und sprachen, ähnlich der späteren Siegel. Darauf und auf die sorgfältige geordnete Faltung wurde ebenfalls viel Wert gelegt. Die Fibel befanden sich jedoch stets auf der rechten Seite. Das mag u.U. mit der rechten Schwerthand zusammenhängen. Denn dort, wo der Arm aus dem seitlich gesteckten Mantelschlitz ragen konnte, steckte auch die Fibel, die diese Bewegungsfreiheit in der Ummantelung möglich machte. Daher, weil die rechte Hand eben die übliche Schwerthand war, war auch die Schließe rechts angebracht.

Der Schoduvel aber trug eine "Spange" am linken Ärmel, also seitenverkehrt - und dem Herzen nah. Auf den Darstellungen erkennen wir jedoch, dass es sich eher um eine schärpenartiges Gebilde handelt. Eine Schärpe (von französisch écharpe „Armbinde“, auch Leibbinde) bezeichnet allerdings ein breites zur Kleidung getragenes Band. Man trug sie im besonders im 14. und 15. Jahrhundert (also zur Zeit der frühen Beschreibung unseres Schoduvel) meist quer um den Leib oder über die rechte Schulter zur linken Hüfte. Sie entwickelte sich später zum Abzeichen von kriegführenden Parteien. Mit der Entwicklung der Uniformierung zeichneten sie nur noch Offiziere aus. Später wurde sie jedoch nur noch bei Paraden getragen und im täglichen Dienst durch die Feldbinde ersetzt. Orden werden erst seit etwa 1600 im Allgemeinen an einer Schärpe getragen.
Die Schärpe, Spange oder Fibel bezeichnete also einen Rang.

Der Schoduvel trägt seine "Spange" (Schärpe) aber links am Ärmel. Handelt es sich hier etwa um einen Übersetzungsfehler? Die Entwürfe zeigen vorwiegend Schärpen statt Spangen, die man im Mittelalter ebenfalls am Ärmel trug.

Wir kennen diese alte Symbolik von rechts und links getragenen Gegenständen auch noch ein wenig bei den Ringen. Ein Ehering wird rechts getragen, ein Verlobungsring jedoch linker Hand. Hier bedeutet das Tragen des Ringes an der linken Hand also noch keine rechtsgültige Ehe, sondern ein Gelöbnis, das von Herzen kam (denn das Herz schlägt ja bekanntlich links ;-) ). Verkehrte Welten, Anders- und Traumwelten, auch Spiegelwelten waren schon immer mit Magie und Zauberkraft verbunden. Und die Fasnacht mit ihren Übergangsriten von einer in eine andere Jahreszeit eben auch. So spielte das Verkehrt- oder Umgekehrtsein, die übliche Ordnung dementsprechend umzukehren eine überaus wichtige Rolle. Aus rechts wurde links. Möglicherweise trug deshalb auch der Braunschweiger Schoduvel seine Spange oder Schärpe links.

Die frühen Kulte und Feierlichkeiten

Zurück zu den frühen Kulten. Man reiste spirituell also mit Kleid, Farbbemalung, Gesang, Tanz, Zauberformeln, Drogen und Trance in die Anima (Seele) der Animals, um mehr über deren Talente, Fähigkeiten und Naturell zu erfahren und damit dem göttlichen Wissen (auch Plan) um einiges näher zu kommen. Und siehe da, es gelang sogar.

Spielend leicht, weil für alle Strömungen völlig offen, höchst neugierig und erwartungsvoll, kamen diese naturnahen Menschen dem Leben und seinem Ursprung auf die Spur. Sie erahnten, dass man nichts bekam ohne selbst Opfer zu bringen, dass die Gleichung sogar denen der mathematischen Gleichungen, die wir heute kennen, verdammt ähnlich waren. Einzige Ausnahme - die zweigeschlechtliche Fortpflanzung! 1+1=3

Durch den Sex, also die zweigeschlechtliche Fortpflanzung wurde ziemlich schnell klar, dass man mit dem "Geschenk des Lebens" etwas so Wunderbares erhalten hat, was angesichts der sonst ziemlich langwierigen ungeschlechtlichen Fortpflanzung durch einfache Zellteilung ja einen enormen Vorsprung bedeutete.
So lernte man das Leben als höchstes Gut zu betrachten, als göttliches Geschenk und verehrte es dementsprechend. Leben ist Blut-Rot, rot ist wichtig, rot ist Achtung, rot ist Signalfarbe. Rot ist Leben pur.

So wurde die Mittler (die Pfadfinder und Übersetzer) zur unbekannten rätselhaften Gottheit gesucht und gefunden. Man nannte sie SchamanInnen, Medizinmann und -frau, HeilerIn, SeherIn, Druiden, MagierInnen, ZaubererInnen und Hexen. Und gegen alle diese Gottkenner und -experten hatte die frühe Christenkirche nur einen Gott entgegen zu setzen und oft auch vor Ort nur einen einzigen Überzeugten, den Missionar oder Bekehrer selbst. Klar, dass sich die alten Riten, wie man zu Gott kommt oder mit ihm verhandelt, spricht, ziemlich lange hielten.
Immer noch mussten Fellbehänge, wildes Trance-Getanze, Tiergeheul, Drogen und Gesänge herhalten, das musste die Kirche verzweifeln lassen.

Damit war ebenfalls vorprogrammiert, dass der Schoduvel und das Brauchtum, das ihn begleitete schnell verteufelt wurde beziehungsweise man adaptierte den ehemaligen wilden chaotischen Naturgeist in die eigenen religiösen Anschauungen, occupierte das Sinnbild und nannte es teuflisch und der frühere Freigeist wurde zum gescheuchten Teufel, ohne den aber das Christentum niemals solchen Erfolg gehabt hätte. Der alte Geist, nun mit aller Boshaftigkeit, Schliche und Sündhaftigkeit belegt, war ein tolles wie auch brauchbares Pendant zum strahlenden weltordnenden guten Gott. So profitierten alle vom Beibehalt des alten Geistes - die völkische Seele als auch die Geistlichkeit.

Und genau deswegen gibt es den Braunschweiger Schoduvel noch heute im Braunschweiger Karneval. Er hat alle Bemühungen, ihn gänzlich zu verscheuchen, überlebt, wenn auch mit Verlusten seines zweiten guten Gesichts. Er führt, wie es heißt, heute den Zug an, der erst seit neueren Zeiten sogar seinen Namen trägt, befindet sich leider aber in den Händen der recht neuen Till-Eulenspiegel-Figur - gleich einer Miniatur oder Puppe, mit der Till, der Schalk zu spielen scheint. Das trägt zur Verniedlichung des Schoduvel bei, gereicht eher nicht zu seiner Ehre.


Schoduvel-Figur in den Händen Tills beim Braunschweiger Schoduvel

Dabei wäre der Schoduvel mehr zu einer echt Braunschweiger Identifikationsfigur geeignet, als es womöglich der Till ist, dessen Wirken in der Stadt nur aus einigen kurzen Aufenthalten und Schwänken bekannt ist. Mir persönlich ist der alte Kerl nicht nur sehr lebensnah, sondern auch sehr sympathisch. Schade, dass er im heutigen Braunschweiger Karnevals eine eher untergeordnete Rolle spielt. In Braunschweig hat man sich leider für das eher künstliche Überstülpen des rein rheinischen Karnevals entschieden, schade eigentlich.


Faslam 2010 - Schnorrergruppe mit Schnorrkorb und Teufelsgesell mit Teufelsgeige - ein Relikt des alten Schoduvel-Geistes
www.tosterglope.de/uploads/pics/faslam2010.jpg

Es wäre nicht nur wünschenswert, sondern auch für Braunschweigs gewichtige traditionelle Rolle im Uralt-Faslams-Brauch eine gute Sache, wenn der Schoduvel selbt wieder mehr herausgestellt werden könnte.

Das nächste Mal können wir uns dann der zweiten Traditionsfigur, dem Erbsenbär widmen und was uns dieser zu erzählen hat.

Viel Spaß beim
Schoduveln also

Helmhut


Aktuelle Themen des Volkes in Braunschweig - Atommüll-Endlager ASSE beim Schoduvel

P.S.: ;) Übernächstes Wochenende wird in vielen Regionen der Republik Fasching,
Karneval oder Fastnacht gefeiert. Besonders beliebt als Wurfmaterial bei den Umzügen sind die Anti-Atom-Bonbons von .ausgestrahlt: bit.ly/A0a86t


_______
Quellen:
de.wikipedia.org/wiki/Karneval,_Fastnacht_und_Fasching
www.lukas14.de/tag/fasching
www.archive.org/stream/geschichtedesteu01roskuoft/geschichtedesteu01roskuoft_djvu.txt

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12 Jahre 1 Monat her - 12 Jahre 1 Monat her #7057 von Helmhut
Der Erbsenbär

Heute die letzte der historisch tradierten Faslam-Figuren, der Erbsenbär. Die dritte Figur "Frühling" hatte in Braunschweig nie Tradition und ist somit erfunden vom Schoduvel-Künstler Torsten Koch.



Da die ersten schriftlichen Erwähnungen der heute uns bekannten Strohvermummungsbräuche erst Mitte des 19.Jahrhunderts erfolgten, also im Zuge der Romantik ländliche Bräuche aufzuschreiben, sind ideengeschichtlich verfaßte Verbindungsversuche zu Wintervertreibung, Heidentum und Wildem Mann rein spekulativ. Das naheliegendste wäre im Falle des Strohbären aus heutiger Sicht die Tanzbärendeutung. Bei den anderen Figuren gestaltet sich die Deutung etwas komplizierter.


C. Frauntragen:
Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, S. 487

Neben der historisch belegten Faslam-Figur des Schoduvel, nach dem der Braunschweiger Karnevalsumzug benannt ist, spielt im Braunschweiger Karneval auch der so genannte "Erbsenbär" eine Rolle. Eine recht kleine zwar, weil er lediglich als Figur im Zug mitläuft, aber immerhin, auch hat er überlebt.


Erbsenbär-Orden in Braunschweig
Orden (Bild)
www.feierabend.de


Der Erbsenbär ist genau wie der Schoduvel eine sehr sehr alte Figur rund um die Faslamsbräuche und -festivitäten. Seinen Namen hat er erhalten, weil er eine Figur darstellt, die rundum in eine dicke Schicht des so genannten "Erbsenstroh" eingewickelt ist. Unter "Erbsenstroh" verstand man in der früheren Landwirtschaft das getrocknete Kraut der Futter-Erbse, welches noch heute als besonders nahrhaftes Zufutter für Pferde empfohlen wird. Also gerade im "Pferdeland" Niedersachsen gewiss häufig zur Fütterung der Pferde während der langen Winterzeit besonders verwendet und bei den Bauern beliebt.

Im Gegensatz zum Schoduvel, der eher tierische Züge, Tierfell-Kleidung und Hörner trägt, finden sich in der Verkleidung des Erbsenbärs durchweg pflanzliche Bestandteile. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass der Schoduvel weitaus älter ist, eher auf Nomadentum und Viehtrieb hindeutet, während der Erbsenbär auf sesshafte Lebensumstände mit Hof, Scheune, Ackerbau und Viehzucht hinweist. Insofern haben wir es möglicherweise mit der mit Erbsenstroh umwickelten Erbsenbärgestalt um eine Art Übergangskult vom rein animalischen, schamanischen Freigeist aus der Urzeit hin zu einem zivilisierteren sesshafteren Leben der Faslamsgemeinde, die ihre Kulte mit in die neue Zeit herüber gerettet und gemäß ihren neuen Lebensumständen und dem neuen Umfeld entsprechend modifiziert hat.

Aus Tiergott wird Getreidegott

Hatte man mit den animalischen Tiergestalten um gute Jagd, reichlich Fleisch, Schutz vor Verletzungen und Bitten um Medizin gebeten, bat man nun um gutes Wetter, gute Ernten und reichlich Brot. Aber auch den Arbeitstieren, dem Vieh und den Zugtieren sollte nichts Böses widerfahren. So bestückte man neuen Talisman, den neuen Geist eben mit dem, was sich im nahen Umfeld eines bäuerlichen Hofes befand. Da die Fasnachtszeit ja im Winter stattfindet, wo kaum noch etwas wuchs, nahm man zwangsläufig aus den pflanzlichen Vorräten, die man bereits Ende Sommer (Heumonat) geerntet und trocken in Scheune oder Vorratskammern eingelagert hatte. Das wäre äußert nachvollziehbar.

Was lag also näher, die neue Gestalt nun mit schnell verfügbaren und nicht so teurem Stroh und nicht mehr den eigentlich wertvolleren Kuh- oder Tierhäuten und Fellen auszustatten? Häute mussten gegerbt und lange bearbeitet werden, Felle ebenfalls. Dazu kam, dass man nicht immer ein großes Tier schlachten konnte, nur weil man den Schoduvel anzukleiden hatte. Felle und Häute brauchte man damals ja für weitaus nützlichere alltägliche Dinge wie Kleidung, Schuhe, Zaumzeug oder Sattel. Das Stroh oder die Garbe wurde damit immer mehr zur Opfergabe. Diesen Übergang vom Tier(Fleisch-Opfer)Gott zum reinen Getreide(Opfer)Gott ist uns aus den biblischen Geschichten geläufig. Während im alten Testament noch der "Urvater" Abraham dem alten Jehova (Gott) ein Lamm opferte, war im neuen Testament bei der Abendmahlgeschichte ein neuer junger Gottes-Sohn bereit, das Brot zu heiligen und als Erinnerung an das Bündnis mit dem Christengott gemeinsam mit seinen Jüngern zu brechen. Brot und Wein (Laib/Fleisch und Blut) - als Landfrüchte - ersetzten sozusagen praktischerweise den alten Tieropfer-Kult. Aus Fleischgott wurde Getreidegott.

Wie der Erbsenbär nach Braunschweig kam?

Wer jetzt meint, der Erbsenbär sei eine typisch Braunschweiger Karnevals- oder Fasnachtsfigur, der wird unschwer feststellen können, dass diese Stroh- und Erbsenbären in vielen anderen Gegenden Deutschlands, ja sogar in anderen Ländern im Mittelpunkt der Fasnachtsbräuche oder Frühlingsfeste stehen. Zuweilen taucht der Strohbär auch zur Kirchweih (Jahrmärkte, Erntefeste) oder zum Erntedankfest auf, also zur Zeit der scheidenden Sommers, Herbstanfang.


Kostüm Braunschweiger Erbsenbär an der Leine
beim Schoduvel

Der Erbsenbär ist also an vielen Orten Brauch geworden, ähnlich den alten Urbildern des Schoduvel bei nativen Stämmen in Nordamerika, in der Steinzeit auf dem europäischen Kontinent etc. Er bezeichnete ja den Übergang von Nomadentum auf die mehr und mehr um sich greifende Sesshaftwerdung der frühen Menschen, daher ist er an vielen anderen Orten dieser Welt vertreten. Der Erbsenbär selbst ist eigentlich eine neuere modernere Variante der weithin häufiger verbreiteten allgemeinen "Strohbären". Anderswo wird statt des speziellen Erbsenstrohs (Pferdefutter), Roggen- oder Weizenstroh verwendet. Dieses Stroh wurde ja als Streu für die Ställe verwendet, als wärmende Unterlage für das Vieh in den Winterställen. Es gab zudem reichlich davon, war also billig und ein oder zwei Garben waren immer verzichtbar, um damit dem "Getreidegott" ein Opfer zu bringen, wenn er dafür gute Ernte und baldiges Frühjahr brachte.

Im Braunschweiger Land und ganz Niedersachsen gibt es daher bis heute zwei Varianten, den Stroh- und den Erbsenbär. Passend, natürlich die speziell auf Pferde hinweisende Variante unseres Braunschweiger Erbsenbärs. Allerdings spielt er im Braunschweiger Karneval, der ja fast vorwiegend rheinisch orientiert ist, leider nur eine sehr untergeordnete Rolle, Beiwerk, Deko.

Rings um uns herum ist der Strohbär aber sozusagen einer der wichtigsten Hauptdarsteller im Brauchtum um Faslam und Fasnachtsfeierlichkeiten.

Wikipedia:

"Der Strohbär ist eine Figur der Schwäbisch-Alemannischen Fastnacht. Er war in allen landwirtschaftlich geprägten Dörfern verbreitet, in welchen Fastnacht gefeiert wurde. Seine Strohhülle konnte aus allen geernteten Stroharten bestehen. Dazu gehören z.B. langhalmiges Weizen-, Roggen- oder Haferstroh oder das Stroh der Futtererbse..."


Natürlich ist der Strohbär nicht nur eine schwäbisch-alemannische Fastnachtsfigur; er spielt auch in vielen anderen Gegenden eine wichtige Rolle.
Ideengeschichtlich soll sich der Strohbär von der im Mittelalter häufig verwendete Figur des Wilden Mannes ableiten, schreibt Wikipedia. Allerdings hängt diese Wilder-Mann-Theorie wohl eher damit zusammen, dass die uralten Kulte bereits früh von der hierzulande um das Jahr 1000 um sich greifenden Christianisierung der germanischen Stämme, verboten und damit mehr und mehr vergessen wurden. Erst im Mittelalter wurden die alten Faschingskulte wieder entdeckt und Reste vom alten Wissen mit den vorhandenen Wilder-Mann-Quellen vermischt. Die Kulte um die Tiermänner und Getreidemuhmen dürften weitaus älter sein.

Der Wilde Mann, der als Fastnachtsfigur zusammen mit dem Narr seinen Ausgangspunkt im ausgehenden Mittelalter hat, stand dann im Mittelalter eher für Unheil, Gottesferne und so schließlich auch stellvertretend für den Teufel (Scho - duvel, Teufelsscheuchen). Das zweite Gesicht des Heilers, Medizinmannes und Lichtbringers geriet ebenso wie beim christliche eingesetzten Teufel (Luzifer = Lichtbringer, Ex-Engel) in Vergessenheit.
Die Figur des Wilden Mannes war "mit Moos oder Fell bekleidet und kann als Vorläufer des Strohbären gesehen werden", schreibt Wikipedia. Da die Übergänge von Tier- zu Wald- und letztlich zu Strohgeist fließend gewesen sein dürften, gilt natürlich auch diese Annahme. In waldreichen Gegenden, wo Holzbauern und Jäger häufiger vorkamen, wie beispielsweise in der Schwarzwälder als auch Harzer Gegend, hat es sicherlich auch so genannte Wilde, Wald- und Baum-Männer gegeben.
Selbstverständlich ordnete die Kirche diese Figuren der Gruppe der "gottesfernen Figuren", wir wissen ja mittlerweile, weswegen. ;-)

Der Bär an der Leine

Über weite Teile des Bundesgebietes verstreut werden noch Strohbärenbräuche durchgeführt. Schwerpunkte sind, neben Südwestdeutschland, vor allem in Hessen und Thüringen zu finden. Von der Fastnacht abgesehen, bewegen sich Strohgestalten auch an anderen Festtagen des Kirchenjahres. Eine bedeutende Rolle spielt außerhalb der Fastnacht das Brauchtum des Kirmesbären. Daher finden sich in neueren Abbildungen auch neben der Bärengestalt oftmals Begleiter in Mantel und Hut und Schnurrbart, die den Bären an einer Leine mit sich führen. Die Herren Bärenführer wirken oft viel zu galant für dieses Tanzbären-Metier, wahrscheinlich eine Anlehnung an das Klischees eines Zirkusdirektors, der ja auch oft mit Gala-Kostüm, Frack, Zylinder und Abend-Cape vor sein Publikum tritt.


Erbsenbär in Stausebach, 1936

Beschreibung
Erbsenbär. In anderen Ortschaften heißt die Figur auch Strohbär. In Stausebach wurde offensichtlich das Erbsenstroh verwendet. Links steht ein Mann, der eine Maske trägt. Im linken Arm hält er einen Stock und einen Krob. An einer Leine führt er eine Strohfigur (eine mit Stroh umwickelte Person). Der Strohbär oder hier Erbsenbär ist eine Figur aus der Fastnacht. Der Rückgang des Strohbärenbrauchs ergab sich durch die Technisierung der Landwirtschaft.

Institut für Europäische Ethnologie der Philipps-Universität Marburg, Bildbestand des ehemaligen Kurhessischen Landesamts für Vorgeschichte
Uni Marburg


Ob nun der alte Frei-Geist an die Leine genommen wurde oder nur dem üblichen Brauch, eine Kirmes oder einen Jahrmarkt früher auch mit Tanzbären-Attraktionen, Freakshow und Bestarien zu bestücken, bleibt unklar. Aber es wird besonders die Obrig- und Geistlichkeit erfreut haben, endlich diesen alten Freigeist "Strohbär" unter Führung des Bärenführers an der sicheren Leine beim Tanzen zu erleben. Dem alten Urbild schien damit vollends der Garaus gemacht. Nichts mehr vom wilden ungebundenen Geiste, nichts mehr von heilsamer Wirkung oder Ventil.

Schnorrer- oder Heischegruppe

Alle heute noch bekannten Bräuche mit Strohfiguren haben mehr oder weniger mit dem Brauch des Heischens, Bettelns, Zampern, Kötten zu tun oder stammen aus diesem Bereich heraus. Strohbären und andere Strohvermummungen traten nie als Einzelgänger auf. Technisch jedoch, betrachtet unter Weglassung aller gängigen Herkunftsparadigmen, war das Einbinden einer Strohvermummung schon sehr lange möglich. Seit dem Zeitpunkt als der Mensch handwerklich mit Stroh umzugehen begann.
Vielfach hatten die Stroh- und Erbsenbären dann später die Aufgabe in einer Art Prozession oder Umzug durch die Ansiedlung getragen, später selbst zu Fuß unterwegs zu sein.

Das nennt man noch heute Schnorren, Mummes-Sammeln oder Heischeumgang. Dabei spielte innerhalb einer Heischegruppe die Strohfigur die wichtigste Rolle und der Darsteller im Stroh bekam von den gesammelten Gaben (Eier,Wurst,Speck) eine höheren Anteil als der Rest der Gruppe. Die Gaben wurden sehr oft gemeinsam verzehrt. Nach dem Heischeumgang befreite man den Darsteller aus seiner Vermummung und das schweißdurchnäßte Stroh wurde anschließend verbrannt. Erinnert uns irgendwie auch an die Betteltour der Sternsinger oder die früheren katholischen Bräuche des Eiersammelns zur Osterzeit, zu dem man zumeist die Messdienerjungen aussandte. ;-) Also auch hierbei hat die Kirche einiges angeeignet und einfach occupiert.

Verbunden mit Fasching und Karneval ist auch Brauchtum rund um bestimmte Gerichte, die bevorzugt oder ausschließlich in dieser Zeit genossen werden. Kurz vor der Fastenzeit enthalten diese besonders die Zutaten, welche während der Fastenzeit verboten sind. Dies gilt nicht nur für Fleisch, sondern auch für Eier und Fett. Letzteres lässt sich auch aus vielen Bezeichnungen für Karnevalstage ableiten: Fettdienstag und Mardi gras, Martedi grasso oder Fettisdagen (französisch bzw. italienisch oder schwedisch für "Fetter Dienstag").

Fett bezieht sich einerseits auf fettreiche Speisen, bei denen besonders Schweinefleisch und Speck beliebt sind. Andererseits auf Gebäck, welches in Fett ausgebacken wird. Fettgebäck (Berliner Pfannkuchen, Krapfen, etc.), welches überwiegend süß zubereitet wird, ist international in verschiedenen Varianten verbreitet. Häufig anzutreffen sind regionale Rezepte mit ebensolchen Bezeichnungen, die sich jedoch häufig in der Rezeptur ähneln. Eine weitere Zutat, welche in Faschingsspeisen häufig vorkommt, sind Hülsenfrüchte, besonders Erbsen und Bohnen, die als Zeichen der Fruchtbarkeit gelten (siehe auch den Brauch um den Erbsenbär).
Früher wurde von den Schafhirten bei den Bauern um Eier und Geld gebettelt, damit sie die Steuern entrichtet konnten. Dabei verkleideten sie sich und machten Musik. Von den restlichen Eiern wurde ein Schmaus abgehalten.
Heute wird immer noch um Eier und Geld gebettelt, um diesen alten Volksbrauch zu erhalten. Mit Blasmusik, Masken und viel Geschrei findet alljährlich, zu klein Pfingsten (Sonntag nach Pfingsten) das "Schrägste Fest Mitteldeutschlands", das "Leißlinger Eierbetteln" statt.

Aus Niedersachsen kennt man auch den Brauch des Tannenbaumabholens - da ziehen Mitglieder der Dorfgemeinschaft im Januar von Haus zu Haus und holen die alten Weihnachtsbäume ab. Als Stärkung gibt es dazu pro Station meist einen Kurzen.

;-) Der Strohbär treibt vieles, nur nicht den Winter aus


"Vielfach wird der Umtrieb des Strohbären fälschlicherweise als Austreibung des Winters personifiziert. Der christliche Kontext des Fastnachtsfestes gibt der Forschung hier keinen haltbaren Beleg; die Begründung solcher Überlegungen sind vielmehr in den germanischen Kontinuitätsprämissen der Fastnacht des 19. und 20. Jahrhunderts zu suchen" (Wikipedia). Wie wir am Schoduvel bereits verfolgen konnten, war dieses zweigesichtige Wesen weitaus mehr als nur ein Winterverscheucher. Vielmehr deutete er den Übergang oder wissender Pförtner zwischen Hier- und Anderswelt, zwischen Winter und Frühjahr, zwischen Tod und Leben an. Wozu sollte er den Winter austreiben? Da der Stroh- oder Erbsenbär ja quasi sein Nachfolger war, weshalb sollte er nicht auch ähnliche Aufgaben gehabt haben?

Das Sterben der "Problembären"

"Ein drastischer Rückgang des Strohbärenbrauches erfolgte durch den technischen Umbruch der Landwirtschaft in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Zum einen veränderten sich die Anbau- und Erntemethoden des Getreides, so beispielsweise die Verkürzung der Strohlänge durch Spritzen der Felder mit chemischen Halm-Verkürzern und das Ernten mit dem Mähdrescher. Das Verhäckseln und Pressen des schon zu kurz gewachsenen Strohes machte es letztendlich zum Einbinden der Bären fast unbrauchbar. Zeitgleich verstärkte sich auch die Neigung, Fastnachtsbräuche zu ästhetisieren und in neuen Fasnachtsfiguren mit geschnitzten Holzlarven aufzutreten." (Wikipedia)



Hier wäre anzumerken, dass es womöglich bereits vorher Masken, Verschleierungen in den früheren Schamanen, Schoduvel und Tierkulten gegeben haben mag, auch wenn hier Wikipedia behauptet, dass das Tragen von Holzmasken erst nach der Strohbären-Hochzeit erfolgte. Das belegen die alten Tierkostüme in der Alemannischen Fasnet. Da existieren Totemtiere mit Masken als auch die neueren Varianten der Strohmänner und -bären gleichwertig nebeneinander.

Einleuchtend aber, dass der Umgang mit Stroh staubig und aufwändig war, wenn man einen "Bären aufbinden" wollte. Das machte nicht nur Durst sondern auch Arbeit. Klar, dass man wohl mehr auf vereinfachte Symbolik wie bildhafte Masken und statt Stroh oder Fellzotteln zu Stofffransen zurück griff. Dazu gibt es noch heute reichliche Beispiele bei den norddeutschen und niedersächsischen Faslam -(Faslom)-Bräuchen.


Letzte Relikte des Strohbären bei einigen Heischegruppen - Perücken, Fransenkostüm, Jutesäcke und Baströcke

Da nach dem Zweiten Weltkrieg das Strohbären-Binden immer weniger Anwendung fand, wurde auch zunehmend die Einbindetechnik vergessen, die ja zuvor alljährlich und generationeübergreifend von den Alten der Jugend übermittelt worden ist. Wie man jemand also einen echten Bären aufbindet, geriet in Vergessenheit, was jedoch der heute sehr verbreiteten Unart, jemand aus reinem Geschäftstrieb einen Bären aufzubinden, keinen Abbruch tat. In dieser Hinsicht wurde dieser Kult dann doch weiter befördert. ;-)

Wo steppt der Bär noch heute?

- Südbären -


Strohbären Osterburken , Lkr. Neckar-Odenwald-Kreis (MOS), Baden-Württemberg

In Empfingen im Landkreis Freudenstadt zog am Fasnachtsmontag und -dienstag eine Gruppe bettelnd durch den Ort und gaben so die Technik des Einbindens an die Jüngeren weiter.

Tannen- und Reisigbären in Empfingen.
Ungewollt und unbewusst wurde in Empfingen um 1980 die Nähe zum mittelalterlichen Wilden Mann wiederhergestellt, als nach einer dürftigen Strohernte als Ersatz zwei Personen mit Tannenreisig als Bären eingebunden und so die „Reisigbären“ geboren waren.
Strohbären Singen/Leipferdingen: Einen alternativen Weg fanden Singen und Leipferdingen, diese ersetzten die Technik des Einbindens durch die Anfertigung von genähten Strohkostümen. Auch 'ne praktikable Möglichkeit!
Strohmann von Sigmaringendorf ist ein besonderes Einbindematerial zu sehen. Sein Stroh wird teilweise noch mit Garbenseilen am Körper gehalten.
Der Strohbutz von Mulfingen-Ailringen (mit Weidengerten gebunden)

Im Gebiet vom oberen Neckar bis an den Bodensee traf man den Bären aus Erbsenstroh oder aus Langhalmstroh (Dinkel-,Roggen-,Hafer- und Weizenstroh) an.

- West-Bären -
Im Rheinland war der Erbsenbär vor dem Aufkommen des Karnevals auf den Dörfern eine der herkömmlichen Figuren in der bäuerlichen Fastnacht. So gut wie jeder Ort mit landwirtschaftlicher Prägung kannte den Strohbären. und an den alten Kult um den Wintergeist „Ähzebär“ („Erbsenbär“) zu erinnern. Seit 1992 wird in Köln der "Jeisterzoch" ("Geisterzug") gefeiert, um an die rebellische Tradition des Karnevals und an den alten Kult um den Wintergeist "Ähzebär" ("Erbsenbär") zu erinnern.


Strohbär Herbstein , Lkr. Vogelsbergkreis (VB), Hessen


- Die Ost-Bären -
Strohbär Wiedelah, Vienenburg



"Längst Tradition geworden ist die Strohbärgruppe, die nach einem Fastnachtsbrauch zum 17. Mal durch Wiedelah zog. Mit lautem Getöse macht die Gruppe von neun Personen, fast alles gestandene Feuerwehrleute, im Dorf auf sich aufmerksam. Bärenführer Frank Hübner hatte Strohbären Markus Schlimme an der Kette, so dass dieser nicht ausbüchsen konnte. Der Aufgabe als Knattermann machte Thomas Müller alle Ehre. Seinen Part als verwegener Teufelsgeiger wurde Ingo Politz gerecht, ebenso Orgelfrau Kai Wegener mit hübschen schwarzen Locken. Die wichtigste Position hatte Sven Fröhlich inne, er betätigte sich als Sammelfrau für die Geldspenden."

Weitere Fotos und ein Video im Nordharz-Portal
LocalXXL.com


Willofser Erbsenbär zog durch das Dorf
Fuldaer Zeitung

Gospenrodaer Strohbär: Schwarze Backen die Farbe ist aus Ofenruß und Bier zusammengerührt. In Gospenroda machte am Montagnachmittag der Strohbär Jagd auf Kinder.
Die Kirmes in Gospenroda endet traditionell mit dem Strohbären, der Kinder jagt, um ihre Gesichter zu schwärzen.

Traditionell endet so die fünftägige Kirmes. Als erstes beschmierte der Dreckbär Annalena Schüler, Mara Kallenbach, Jennifer Heilemann und Anika Kümmel. In Getreidestroh eingewickelt war diesmal Peter Issleib.
eisenach.tlz.de

Erfassung: Mittlerweile sind 174 Orte in der Bundesrepublik bekannt, in welchen noch aktiv Strohvermummungsbräuche betrieben werden.

Verbreitung in Europa: Auch in einigen Ländern Europas sind verschiedenartige Strohvermummungen bekannt.

Vappu ist in Finnland das Fest des Frühlings, der Studenten und der Arbeiter. Vappu ist ein gesetzlicher Feiertag. Der Termin und die damit verbundenen Jahrhunderte alten Traditionen stehen in der Tradition der Walpurgisnacht. Seine politische Bedeutung entspricht dem deutschen Maifeiertag. Dieser Feiertag ist, durch seine Volksfeststimmung am 30. April/1. Mai jeden Jahres und nicht aufgrund der von Verkleidungen (die Overalls der Studenten können auf Außenstehende zwar wie Verkleidungen wirken, sind dies jedoch nicht, sondern gehören in Finnland normal zum studentischen Leben), mit Fasching vergleichbar.
vereins.wikia.com/wiki/Fasching

Weitere Orte, in denen Strohbären auftreten:
L'Orso di Paglia, Valdieri, Italien
Straw Bear, Whittlesey (Whittlesea), Großbritannien
Bonhomme de Paille, Frankreich
Strohschab, Bad Mitterndorf, Österreich
ursului de paie, Gura Humorului, Rumänien
Wren Boys, Irland

5 Orte soll es in Niedersachsen geben, die den Stroh- oder Erbsenbärbrauch noch heute durchführen. Einer davon also auch Braunschweig.

Weizen-Strohbär

Wie man jemanden einen echten Strohbären aufbindet
Für die wildesten Jungs und Mädels in Braunschweig hier ein altes Rezept:

Einbindetechniken:

Hier sind bundesweit vier voneinander getrennte Verarbeitungsarten zu erkennen. Dies kann sich von einem Ort zum anderen in einer Region unterscheiden, jedoch wieder mit den Ausführungen eines geografisch weit entfernten Ortes übereinstimmen. Dies dürfte daraus resultieren, dass früher das Stroh in Haushalt und Landwirtschaft ein Allzweckmittel war.

Originale Bindetechnik Stroh- oder Erbsenbär
Man nehme:

ca. 10 kg möglichst langhalmiges Stroh
oder bei Erbsenbären
ca. 20 kg getrocknetes Erbsenkraut.
ca. 100m Sisalseil (oder Sisalschnur)
alternativ: auch Kunststoffschnur (Strohballenpresse) möglich.

Eine Besonderheit stellt der Strohbutz von Mulfingen-Ailringen dar. Er wird heute noch mit gedrehten Weiden-Gerten eingebunden. Auch beim Strohmann von Sigmaringendorf ist ein besonderes Einbindematerial zu sehen. Sein Stroh wird teilweise noch mit Garbenseilen am Körper gehalten.

Die Sisalschnur, die hauptsächlich aus Brasilien stammt und aus den Fasern der Sisal-Agave (Agave sisalana) hergestellt wird, kam vielfach erst zwischen den beiden Weltkriegen und später zur Verwendung in unserer heimischen Landwirtschaft. Daher bleibt es offen, mit welchem Bindematerial vorher gearbeitet wurde. Neben den Weiden-Gerten könnten auch gedrehte Roggenstrohseile verwendet worden sein. Mit solchen Strohseilen band man früher die Getreidegarben. Diese Seile bewiesen bei meinen verschiedenen Einbindeexperimenten eine beachtliche Zug- und Haltefestigkeit.

Die Handwerkstechniken Flechten (Strohzöpfe), Drehen (Strohseile), Abdecken/überschieben (Strohdach) und Zwirnen (Strohmatten und -umhänge) wurden in jedem landwirtschaftlichen Haushalt beherrscht und später in wirtschaftlich strukturschwachen Regionen (z.B. Schwarzwald) sogar weiterentwickelt bis zur industriellen Verarbeitung (Strohhüte / Strohtaschen) Der technische Umgang mit Stroh und Langhalmgräsern ist anhand von archäologischen Forschungen bis in die Jungsteinzeit (!) nachgewiesen.

Der gezwirnte Grasumhang des "Ötzi"



Wetterschutzumhänge aus Stroh und Gräsern waren in ländlichen Gebieten früher eine verbreitete Nutzkleidung - z.B. von Viehhirten.
Hier liegt der oben erwähnte Übergang zwischen Tierwesen, Viehhirte und Strohbär eigentlich ziemlich nahe.


Rekonstruktion: Fundstücke

Das Tragen solcher Wettermäntel aus Stroh oder Gras war von Portugal und Spanien bis fast zur Mitte des 20. Jahrhunderts gebräuchlich. Alle vier beschriebenen Techniken sind beim Einbinden von Strohvermummungen in Reinform in Gebrauch. Es gibt aber auch Strohfiguren in Mischform, bei der ein Teil des Körpers beispielsweise umwickelt wird, ein anderer aber mit stehendem Stroh eingebunden wird.

Vielleicht wird es Zeit, dass der Erbsenbär weniger als Tanzbär für den Braunschweiger Karnveal auftritt, sondern als enges Bindeglied zwischen städtischem Bügertum und dem rundum dörflicher oder landwirtschaftlich mehr geprägten Umfeld begriffen wird.

Genug getanzt und bärig viel Spaß
beim fröhlichen Treiben

Helmhut



________________
Quellen:

de.wikipedia.org/wiki/Strohbär
www.strohbären.de/
www.geisterzug.de/aehze.htm
Letzte Änderung: 12 Jahre 1 Monat her von Helmhut.

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