"Schloss und -museum" -
Braunschweigs Scheuklappen und was andere sehen
Bereits zum Braunschweiger Bau bzw. der Rekonstruktion eines "Schlosses" gab es unzählige Pressestimmen aus den Reihen von Kunst- und Architektursachverständigen.
Fassaden und abschreckendes Beispiel
"Herausgekommen ist der architektonische Zusammenprall zweier Welten, die (...) nicht miteinander harmonieren. (...)Ein kommunales Kulturzentrum von 13 000 Quadratmetern, untergebracht in zwei Schlossflügeln hinter rekonstruierten
Fassaden; ein „schlossähnlicher“ Innenausbau samt "Thronsaalrekonstruktion" durch die "Berliner Spezialisten" Rupert und York Stuhlemmer. (...)Ein riesiger Baukörper, dreimal voluminöser als das eigentliche „Schloss“. Einer der Haupteingänge führt durchs Mittelportal der Schlossfassade und stößt schon nach fünf Metern auf das Allerweltsdesign moderner Ladengalerien. Dazwischen: eine Brandmauer, die zwischen den verschiedenen Geschosshöhen beider Bauteile kompliziert verspringt und bauliche Unabhängigkeit voneinander suggeriert, aber nicht schafft.
Das Ensemble kostet die Stadt Millionen Euro Jahresmiete. Demnächst hält Wilhelm von Boddien, der Promoter der Berliner Schlossrekonstruktion, einen Vortrag in Braunschweig. Sein Thema: Kann Berlin von Braunschweig lernen? Man wird wohl sagen müssen: höchstens als abschreckendes Beispiel."
www.tagesspiegel.de/kultur/fake-und-fassade/798118.html
Nur eine Mogelpackung und Attrappe
Historisierende Rekonstruktionen sieht das
Art-Magazin
als "notwendiges Übel". "Selbst Puristen haben gelernt, damit zu leben – vorausgesetzt, es geschieht sorgfältig, historisch korrekt und die Nutzung passt. Gelungene Beispiele sind die Dresdner Frauenkirche oder die Brücke in Mostar – beide für die jeweiligen Bürger zudem wichtige Identifikationspunkte. Braunschweig kann sich mit seinen Schlossarkaden auf keines dieser Argumente berufen."
Man wundert sich keineswegs darüber, dass sich die Stadtväter wieder nach etwas Glanz sehnten. Bloß: "Was sie bekommen haben, ist
keine Rekonstruktion, sondern eine Attrappe.
Kaum ist der Besucher durch das Hauptportal getreten, landet er, nur zehn Meter weiter, zwischen Windeln und Waschpulver. (...) handelt es sich dabei um Neubauten mit zusätzlichen Geschossen und
einer völlig anderen Raumabfolge, die mit dem Original kaum etwas zu tun haben. Zweitens ändert das nichts daran, dass sich hinter den Arkaden kein Schloss befindet, sondern ein Kaufhaus. Von einer Rekonstruktion kann also keine Rede sein. Hier handelt es sich schlicht um eine Mogelpackung.
Kritisches Geschichtsbewusstein? Nur eine Nebenrolle
Der Kunsthistoriker Nikolaus Bernau hat in der Berliner Zeitung (1.9.2004) die Braunschweiger „Schlosspläne“ folgendermaßen kommentiert:
Kritisches Geschichtsbewusstsein und wirkliche, Material und Plan umfassende Architekturliebe spielen wie in vielen Rekonstruktionsdebatten nur eine Nebenrolle. Das zeigt sich daran, wie die Schlossrekonstruktion realisiert werden soll. Weil Braunschweig genau so pleite ist wie die meisten deutschen Städte, wurde der Schlosspark verkauft, damit die Hamburger Firma ECE hier ein Einkausfzentrum errichten kann. Und vor dieses alle Braunschweiger Innenstadtproportion sprengende Projekt, entworfen vom Berliner Architekturbüro Grazioli + Muthesius, stellt die ECE die Schlossfassade.
Grotesk: Doppelalbtraum und Heimsuchung
Hanno Rauterberg, ebenfalls Kunsthistoriker, schrieb in der Zeit (9.6.2004) unter der Überschrift "Wo bleibt der Mut?":
„Es war eine Frage der Ehre: Wer als Architekt auf sich hielt, der war entschieden gegen monströse Einkaufszentren, gegen den Wiederaufbau verblichener Monumente und erst recht gegen den Doppelalbtraum, der gerade Braunschweig heimsucht – eine Schlossrekonstruktions-Shopping-Mall. Doch neuerdings lösen sich selbst diese eisernen Überzeugungen auf. Von der Auftragskrise geschüttelt, verraten sogar bekanntere Architekten ihre Glaubenssätze. ... Auch die Wettbewerbssieger Alfred Grazioli und Wieka Muthesius galten bislang als redliche Modernisten – und beteiligen sich nun doch an einem Vorhaben, das in seiner Ästhetik grotesker kaum sein könnte und zudem das ohnehin schwächelnde Leben der Braunschweiger Innenstadt akut gefährdet.
Dass man überhaupt auf die Idee kam, das Schloss wiederaufzubauen, (...) ist schon aberwitzig genug. Vollends absurd wird der Plan indes dadurch, dass der Rat die Neuresidenz zwar (mit
nur einer Stimme Mehrheit) beschlossen hat, diese aber von der Stadt gar nicht gebaut wird."
Neue Feudalherren in die Stadt geholt
Weil das Geld fehlt, holt man sich einen "neuen Feudalherrn in die Stadt, den Shopping-Regenten ECE, der ein gigantisches
Glasgeschwür, ein 30000 Quadratmeter großes Einkaufszentrum, das den gesamten Park überwuchert und aus dem einstigen Schloss-Solitär ein
Anhängsel macht. Wer künftig das stolze Mittelportal des Schlosses durchschreitet, der tritt ein in eine Welt der Boutiquen, Dönerbuden und Kaufhausketten. Er gelangt in das Königreich namens Konsum. (...)
Dieses wird der Innenstadt, die schon jetzt über Leerstände klagt, bitter fehlen. Doch statt diese Verluste auszugleichen, subventioniert der Rat die neue Konkurrenz auch noch. Der gesamte Erlös aus dem Verkauf des Schlossparks, immerhin 35 Millionen Euro, wird dafür ausgegeben, das Umfeld der ECE-Glasburg zu verschönern und das Schloss möglichst authentisch aussehen zu lassen. Damit die alten Bruchstücke der Fassade, ausgebuddelt in einer Kleingartensiedlung, auch wirklich sorgfältig in den Neubau integriert werden, schenkt die Stadt Braunschweig dem ECE-Konzern 13 Millionen Euro.“
www.birdstage.net/braunschweig01_08.html
Museum Türöffner zum Einkaufszentrum
Und trotz der Beteuerungen des Braunschweiger Oberbürgermeisters, dass weder ein Kaufschloss noch Fassaden in Braunschweig stehen, titelt die unabhängige, nicht lokal gesteuerte Presse immer noch von Einkaufszentrum und sogar darüber, dass das neu eröffnete Museum sozusagen ein Türöffner für den örtlichen Konsum - also doch Kaufschloss - sei:
"Neues Schlossmuseum öffnet Türen im Einkaufszentrum"
www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article13085823/Kompakt.html
„Niemand muss an Schlüpfern und Schuhen vorbeigehen, um zu uns zu kommen“
"Der schöne Schein der Vergangenheit -
In Braunschweig darf sich der Kunde wie ein König fühlen. Hinter der ehrwürdigen Fassade des alten Residenzschlosses verbirgt sich nämlich kein Thronsaal, sondern ein Einkaufszentrum.
„Ein tolles Gebäude, viel harmonischer als der Buckingham Palace“, schwärmte Heinrich Prinz von Hannover, als das ECE-Center im Mai 2007 feierlich eröffnet wurde."
Auch ein wenig Kultur sollte in den Vorbau Einzug halten. Dazu wurden Bibliothek, Stadtarchiv und nun auch das "Schlossmuseum" eingerichtet. „Niemand muss an Schlüpfern und Schuhen vorbeigehen, um zu uns zu kommen“, betonte Fachbereichsleiterin Anja Hesse. „Wir sind vom Einkaufszentrum hermetisch abgeriegelt.“
In das neugeschaffene Pseudoschloss fließen angeblich Ströme von Interessierten. "Zum Renner entwickelte sich vor allem die Bibliothek", kein Wunder, wenn man Bestände zusammenzuführt , die bisher auf drei Standorte verteilt waren. Andernteils ist es nun mal ein Kaufhaus, das hier Kundenströme verzeichnen kann.
„Man kann sich praktisch durch die Geschichte fressen“, sagt die Kulturamtsleiterin Anja Hesse, wenn sie auf die Monitor-Gedecke der so genannten "Weißen Tafel" hinweist. Dabei werden auch Informationen serviert, die nicht so bekömmlich sind – etwa, dass die Nazis eine SS-Junkerschule im Schloss etablierten, „um deutsche Menschen zu SS-Führern heranzubilden“. Auf einer Fürstenberg-Vase wird das entsprechende Himmler-Zitat zu lesen sein.
www.haz.de/Freizeit/Ausfluege/Schloesser-Burgen/Der-schoene-Schein-der-Vergangenheit
Doch Hannovers Presse distanziert sich am Ende auch vom Braunschweiger Fassaden-Zauber. "Ein Einkaufszentrum aber wird die Herrenhäuser Gärten nicht verhunzen – schließlich geht es hier nicht nur um die Rekonstruktion einer Fassade."
Aus einem Schloss wird - plump - ein Kaufhaus
"In Braunschweig wird aus einem Schloss eine Shopping-Mall gemacht. Die Denkmalpflege ist unbeteiligt. Fluch oder Segen?
(...) Das ist ein 200 Millionen Euro teures Projekt, das aus der ehrgeizigen Fassadenrekonstruktion des Stadtschlosses besteht - und dazu aus einer damit plump verbundenen, teilweise ins Schloss hineingebauten Shopping-Mall.
(...) Es gab offenbar eine Ära, die sich aggressiv gegen jede Form von Ständesymbolik richtete.
Heute ist es umgekehrt: Der großen Sehnsucht nach Schuluniformen und Benimmkursen kommt jede repräsentative Schlosskulisse recht, um sich darin einzurichten.
Kein Schloss und keine Arkade, nirgends
Es heißt zwar Schloss-Arkaden, aber weder Schloss noch Arkaden sind zu entdecken. Auch die Denkmalpflege war daran leider unbeteiligt: "was etwa dem früheren Ballsaal auf grotesk verknotete Weise anzusehen ist, der sich heute entgegen seiner früheren Raumpracht unter ein Archiv ducken muss."
www.sueddeutsche.de/kultur/staedtebau-versus-kommerz-aus-einem-schloss-wird-ein-kaufhaus-1.897008
Das "Schlossmuseum"
Ähnlich wie bei der Attrappenlüge, ist auch die Ausstattung des so genannten Schlossmuseums gelungen, welches uns doch die damaligen herzoglichen Lebensräume hautnah vermitteln soll.
Ohne Dramaturgie aneinandergereiht
"Die Räume selbst, sie sind ernüchternd: Revisionsklappen im Rigips, Brand- und Bewegungsmelder sowie Lüftungsschlitze an den Decken. (...)" - wohl alles aus herzoglicher Zeit? Ein dekoratives Säulenpaar klingt hohl wie aus Pappmaché, heißt es. Dies scheint auch im Eingangsbereich so zu sein.
"Auch das Mobiliar scheint ohne Dramaturgie aneinandergereiht. Und dann immer der Blick nach draußen: ein Fischimbiss, ein lokaler PC-Händler, ein Herrenausstatter werben hautnah vis-à-vis im neuen Shopping Center - da helfen auch die Draperien am Fenster nicht so recht.
Ersonnene Enfilade
Die Säle und Räume aber, "in denen diese Versatzstücke (hier sind die erkauften und gesammelten Exponate gemeint) nun drapiert sind, wurden
frei erfunden: Ein Berliner Architekturbüro für Denkmalpflege und eine - aufgabengerecht selbst adelige - Innenarchitektin aus Stuttgart haben eine so nie da gewesene Enfilade ersonnen, eine Flucht von Räumen, als deren End- und Höhepunkt der auferstandene Thronsaal Herzog Wilhelms dient. Das Ganze wird verkauft als "Raumkunstmuseum", dessen Aufgabe ein "Raumerlebnis" ist, das zur "Stärkung der braunschweigischen Identität" beitragen soll - von seriöser Ambition musealer Geschichtsvermittlung also keine Spur.
Gut drei Millionen haben der Innenausbau und die Einrichtung des Museums direkt neben dem Shopping Center in der Braunschweiger Schlosskulisse gekostet. Davon zahlte die Kommune rund 900.000 Euro und sogar aus dem staatlichen Konjunkturpaket II flossen knapp 300.000 Euro." (...)
"Womit man andernorts marode Schulen saniert hätte: In Braunschweig floss es in die Nachbildung von sechs ehemals herzoglichen Sälen und einem Vestibül. Auf den laufenden Kosten übrigens bleibt die Stadt alleine sitzen, in einer Ratsvorlage wurden sie mit 235.000 Euro jährlich beziffert. Aber es dürfte, schon wegen arg niedrig angesetzter Budgets für Wechselausstellungen und eine eine halbe Kuratorenstelle, alles noch deutlich teurer werden.
Ein leibhaftiger Welfe ist ganz hinten im Thronsaal anzutreffen: Prinz Heinrich aus Hannover schwärmt von den vielen dynastischen Portraits aus der Marienburg, die nun alle hier wieder zusammen hingen. Und er erzählt von der Stolpergefahr, die der Thron mit seinen zu knappen Stufen berge. Den habe er einst Ministerpräsident Glogowski empfohlen, als Training zum Stürzen sozusagen. Wie er denn nun den Blick nach draußen finde, wird gefragt. "Ich schaue eh nicht gern raus", antwortet der Prinz sibyllinisch, "und schon gar nicht hinunter."
www.taz.de/1/nord/kultur/artikel/?dig=2011/04/12/a0002&cHash=7220a72b58
Der Seitenhieb auf Glogowski kommt nicht von ungefähr. Glogowski ist als Ehrenbürger Braunschweigs am Entstehen dieser Fassaden und Raumkünsteleien entschieden mit beteiligt.
"Für die genannte Vorlage stimmten nicht nur CDU und FDP, sondern bedauerlicherweise auch die sich immer "staatstragender" gebärdende SPD. Ob das daran liegt, dass im Vorstand der Schloss-Stiftung auch ein Vertreter der Stiftung Nord/LB-Öffentliche sitzen soll? Deren Vorstandsvorsitzender ist der ehemalige Oberbürgermeister und Ex-Ministerpräsident Gerhard Glogowski (SPD).
"Kritischere Presse"-Stimmen aus Braunschweig
Martin Jasper kommentierte in der [url=http://www.newsclick.de/index.jsp/menuid/12468498/artid/13994931
]Braunschweiger Zeitung[/url]:
"Braunschweig ist ja nicht nur eine ehemalige Fürstenresidenz, sondern auch eine stolze Bürgerstadt. Insofern gereicht es vielen Bürgern zur Ehre, dass sie sich im Vorfeld des Schlossbaus und der Inszenierung einstiger Herzogsherrlichkeit im Schlossmuseum gegen eine unkritische Verklärung des braunschweigischen Feudalismus wandten."
Genutzt hat es jedoch bisher wenig. Die Fassaden stehen, das Einkaufszentrum ebenfalls und nun werden wir durch Raumkünste geführt, die mit den historischen Begebenheit recht wenig zu tun haben - also auch dort Vortäuschung falscher Tatsachen und unkritische Verklärung in allen Reko-Winkeln.
Doch Jasper muss wohl loben, ob er will oder nicht. So versucht er, enttäuschte wissenschaftlich und historisch interessierte Schlossmuseumsbesucher auf andere Braunschweiger Museen zu vertrösten bzw. hilft emsig, schnöden Kommerz besser zu verkraften.
Wer an wirklichen historischen Belegen interessiert ist, der könne "das dann umfassend und kritisch im Landesmuseum" befriedigen. "Auch ist wenig dagegen zu sagen, im Schloss, das größtenteils mit schnödem Kommerz gefüllt ist, zumindest eine Ahnung davon zu vermitteln, wie es einstmals darin ausgesehen hat." - Rein äußerlich - halbwegs - mindestens!
Aber selbst Jasper kommt am Ende nicht umhin, eine halbwegs ironische Spitze gegen den post-feudalistischen Meister abzuschießen: "Vielleicht sollte Braunschweigs Oberbürgermeister, dem ja zuweilen eine etwas post-herzogliche Attitüde zugeschrieben wird, sich beim heutigen Pressetermin im Thronsessel ablichten lassen."
Ob das jedoch dem Ganzen eine entspannte oder gar selbstironische Pointe geben würde, bleibt angesichts anderer OBrigkeits-Ermächtigungen und Amtserhöhungen fragwürdig. Vor allem in den Augen der sonstigen Welt, die sich ja angeblich außerhalb Braunschweigs Rathausmauern befinden soll, wie Außenstehende meinen.
Gruß Helmhut