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Quadriga-Aufbringung - Karikatur: Ulenspiegel

 

Anläßlich der offiziellen Schenkungs-Übergabe der Quadriga an die Stadt am 27.10.2008 freute sich OB Hoffmann über Vergangenes und offenbarte seine Zukunftsvision für die Stadt:


"Braunschweig wird unter diesem Zeichen eine weitere große Zukunft haben"

(nachzuhören hier auf you-tube-Filmmitschnitt)

 

Nun sind wir drei-einhalb Jahre weiter und die Zukunft scheint mit der Vorbereitung einer 100-Jahr Feier der Hochzeit der Kaisertochter unmittelbar vor der Tür zu stehen.


Wenn nicht der Umgang mit dem Alt-Gedienten so manche Tücke hätte...

 

...und so trug schon damals ein Festredner im Rahmen dieser Feierstunde mit viel Pathos ein altes Schloss-Gedicht vor, welches der Schenker Borek zusammen mit der Quadriga auch der Stadt überlassen hat.


Bis zum heutigen Tage befindet sich dieses Gedicht in der vorgetragenen Form immer noch auf der Homepage der Stadt - Schlossgedicht

 

Was es mit den kryptischen Zeilen auf sich hat, entschlüsselt der nachfolgende Beitrag...


...von Matthias Witte, welcher mit freundlicher Genehmigung vom Braunschweig-Spiegel.de  in die neue Ausgabe der BI-Zeitung "Unser-Braunschweig" übernommen worden ist :


"Unverwelfter Strahlenfranz" PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von: Matthias Witte - Donnerstag, den 03. September 2009

Die rätselhaften Sprachschöpfungen des Braunschweiger Schloss-Dichters U.B. und eine verblüffende Interpretation derselben.

Auf der Internetseite der Stadtverwaltung gibt es zum unerschöpflichen Thema ‚Schloss’ und ‚Quadriga’ labyrinthische Pfade, die auch von Eingeweihten nur selten begangen werden. Das ist schade, denn manchmal finden sich am Ende solcher Wege wahre Kleinode. Ein herausragendes Beispiel dafür ist das Gedicht „Herzögliches Schloss zu Braunschweig. Zerstörung durch Brand“, das sich ganz unten im Pressematerial zur Quadrigaaufbringung findet. Dieses vergessene Gedicht, von einem gewissen U.B., offenbar unter dem unmittelbaren Eindruck des katastrophalen Brandes von 1865 geschrieben, wurde - so ist dort zu lesen - von Richard Borek der Stadt überlassen.

Vorgestellt seien zunächst die ersten zwei Strophen dieses Gedichtes. Bitte lesen Sie sorgfältig, am besten laut, Wort für Wort, ja Buchstabe für Buchstabe - Lyrik will nicht überflogen werden - und versuchen Sie des Dichters Gedanken nachzuvollziehen (Ich habe die Stellen, an denen das schwierig werden könnte, hervorgehobenen):

Es stand ein Schloss zu Braunschweig, der alten Welfenstadt,
Das nimmer seines Gleichen Deutschen Landen hat.
Richt Riesentürme drohen fein, Festungswall erschredt,
Ein Landhaus möchte es heißen, im grünen Bars versteckt.

Das Aug’ des Wandrers blendet nicht, Schluck noch eitle Bier,
Richt leere Schnörseleien umdüstern Tor und Tür,
Einfach, doch Stolz und Edel es sich im Bau erweist,
So einfach, Stolz und Edel, wie seines herrliches Geist.

 

Richte Riesentürme, grüne Bars und Schnörseleien, ..... Eine Welt voll unerhörter Gegenstände. Ein Eindruck, der sich durch kryptische und grammatisch nicht mehr fassbare Einsprengsel ("Schluck noch eitle Bier" und "wie seines herrliches Geist") noch steigert.

Was soll das?


Eine erste Idee: Dichter sind sensible Wesen. Hölderlin redete aus Liebeskummer zunehmend wirres Zeug. Warum sollte U.B. (Anmerkung der Redaktion: Das Kürzel des Dichters, nicht Unser-BS!) nicht ein gleiches Schicksal ereilt haben? Den Verstand verloren aus Gram über den Schlossbrand, oder zumindest in den Alkohol geflüchtet? Der Ausdruck ‚Schluck noch eitle Bier’ ließe sich so doch schon mal bestens erklären.


Eine zweite Idee: 1865? Das war ja geradezu noch Mittelalter; das Mittelhochdeutsche war damals vielleicht noch keine ferne Erinnerung, wer weiß….

Aber das sind - zugegeben - nichts als hilflose Deuteleien.
Vielleicht hilft ein Blick auf die 5. Strophe weiter, in der U.B. die Quadriga besingt:

Es hat in Erz getrieben sie Howald meisterlich,
Und Rietschel sie geformet, so; hehe und minniglich,
Um deren Namen leuchtet ein heller Strahlenfranz,
in unverwelftem Schimmer und nie gebleichtem Glanz.

So, so, es hat Rietschel die Quadriga also geformet, so; hehe …. Und um des Künstlers unverwelft schimmernden Namen leuchtet ein Strahlenfranz!

Will sich dieser U.B. lustig machen über uns (hehe), oder ist er schizophren? Hört er Stimmen, vielleicht die des Strahlen-Franzes? Ist U.B. ein Pionier des Dadaismus? Oder ist er am Ende nur ein gnadenlos dummer Dilettant?

Wohl nichts von alledem. Anders als es in der durchgängig mehr oder minder eigenartigen Wiedergabe der Braunschweiger Stadtverwaltung scheinen mag, hat U.B. wahrscheinlich ein bieder-braves Gedicht geschrieben, das in seinen 17 Strophen sämtlichen Regeln der Logik und der Grammatik des heutigen Hochdeutschen gehorcht.

Wie ist das möglich? Ganz einfach: Das Gedicht von U.B. erscheint in der Fassung der Verwaltung in einer serifenlosen Schrift. Diese war 1865 nicht gebräuchlich. Also darf man annehmen, dass die Verwaltung das vermutlich in Fraktur stehende Original transskribiert hat. Bei solchen Übersetzungen kann der Ungeübte leicht Fehler machen: z.B. ein Fraktur-Z oder -P für ein ‚B’ lesen, ein Fraktur-k für ein ‚s’ und ein Fraktur-s für ein ‚f’ oder ‚l’ etc. Unter der Annahme, dass die Braunschweiger Verwaltung eben alle diese Fehler gemacht hat, lässt sich das ursprüngliche Gedicht von U.B. leicht rekonstruieren. Es lautet dann in den drei vorgestellten Strophen wie folgt:

Braunschweiger Verwaltungstranskription /
vermutliche Originalfassung
(Hervorhebungen = Abweichungen)

1. Es stand ein Schloss zu Braunschweig, der alten Welfenstadt,
Das nimmer seines Gleichen Deutschen Landen hat.
Richt Riesentürme drohen fein, Festungswall erschredt,
Ein Landhaus möchte es heißen, im grünen Bars versteckt.

1. Es stand ein Schloss zu Braunschweig, der alten Welfenstadt,
Das nimmer seines Gleichen in Deutschen Landen hat.
Nicht Riesentürme drohen, kein Festungswall erschreckt,
Ein Landhaus möcht es heißen, im grünen Park versteckt.



2. Das Aug’ des Wandrers blendet nicht, Schluck noch eitle Bier,
Richt leere Schnörseleien umdüstern Tor und Tür,
Einfach, doch Stolz und Edel es sich im Bau erweist,
So einfach, Stolz und Edel, wie seines herrliches Geist.

2. Das Aug’ des Wandrers blendet nicht Schmuck noch eitle Zier,
Nicht leere Schnörkeleien umdüstern Tor und Tür,
Einfach, doch stolz und edel es sich im Bau erweist,
So einfach, stolz und edel wie seines Herrschers Geist.



5. Es hat in Erz getrieben sie Howald meisterlich,
Und Rietschel sie geformet, so; hehe und minniglich,
Um deren Namen leuchtet ein heller Strahlenfranz,
in unverwelftem Schimmer und nie gebleichtem Glanz.

5. Es hat in Erz getrieben sie Howald meisterlich,
Und Rietschel sie geformet so hehr und minniglich,
Um deren Namen leuchtet ein heller Strahlenkranz,
in unverwelktem Schimmer und nie gebleichtem Glanz.



Die Transkription der Verwaltung wurde nun nicht etwa nur für die Schublade erstellt. Vielmehr diente sie offensichtlich - nur leicht modifiziert - als Grundlage für den Vortrag dieses Gedichtes anlässlich der feierlichen Quadriga-Einweihung am 27.10.2008. Und so trug ein Festredner vor den Honoratioren der Stadt mit viel Pathos so einigen unverständlichen Blödsinn vor, den im einzelnen aufzudröseln ich dem Leser überlasse. Den Zuhörern gefiel es trotzdem, was nicht weiter Wunder nimmt: wer sich die Karikatur des Ottmer-Schlosses mit seinen grotesken schlossähnlichen Inneneinrichtungen als kulturelle Glanztat verkaufen lässt, wird auch bei einem bis zur Karikatur entstellten Gedicht nicht allzu kritisch sein, wenn es nur mit dem entsprechenden hoheitlichen Gestus vorgetragen wird. Und so brandete ungeteilter Beifall auf, als der Redner endlich hochpathetisch mit den Worten schloss:

Reu schafft des Künstlers Mühe uns die Brunonia,
Reu steht im alten Glanze die Burg der Welfen da.


Ja, ja: das Fraktur-N hat es in sich. Aber Fehler sind ja dazu da, dass man aus ihnen lernt. In diesem Sinne:

Auf ein Reues!


 


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