ARGE GESCHICHTEN
Stellen Sie sich vor, sie sind so um die vierzig oder 45 Jahre alt. Stellen Sie sich vor, dass der Beruf, den Sie einst erfolgreich erlernt und abgeschlossen haben, aktuell nicht mehr gefragt ist oder es keine Stellen gibt in Ihrem erlernten Metier. Oder dass Sie gerade Stellenabbau oder eine Kündigung auf sich zukommen sehen. Kommt vor, sehr oft sogar!
Da Sie nicht arbeitslos werden wollen, orientieren Sie sich schnellmöglichst neu, sondieren den Arbeitsmarkt, sehen, dass nur eine Weiterwildung oder Umschulung in Frage käme, sie vor Arbeitslosigkeit erst einmal zu bewahren. Sie suchen also engagiert nach Alternativen. Sie finden dann auch was Entsprechendes, was zu ihren bisherigen Erfahrungen und Schwerpunkten als auch zu ihrer Persönlichkeit passt und entscheiden sich für eine Ausbildung in diesem Beruf, einem Berufsfeld mit guten Möglichkeiten. Sie haben sich umgeschaut und sogar einen Anbieter ausfindig gemacht, der diese dreijährige Ausbildung anbietet. Natürlich wird das Geld kosten. Und natürlich ist Ihnen klar, dass Sie das finanziell nicht alleine tragen können. Klar ist auch, dass Sie selbst nicht sowohl für die Schule als auch für Ihren Lebensunterhalt während der Ausbildung aufkommen können. Sie denken daran, das bislang für die Altersvorsorge zurückgelegtes Geld zu investieren.
Da das eine schwerwiegende Entscheidung ist, suchen Sie Beratung bei Ihrem Jobcenter, voll Vertrauen darauf, dass man Ihnen dort bei der Entscheidung hilft, Sie auf mögliche finanzielle Unterstützung und Risiken als auch auf Alternativen hinweist.
Und siehe da, Ihr Arbeitsvermittler ist proper, erkennt, dass Sie in Ihrem alten Beruf nicht vermittelbar sind, ist mit der Wahl der Ausbildung einverstanden – und stellt sogar einen Bildungsgutschein in Aussicht, um die Ausbildung zu finanzieren. Allerdings müssten Sie dann dafür zunächst einen Antrag auf Hartz IV stellen. Das tun Sie dann auch getreulich. Sie melden sich beim dafür zuständigen Sachbearbeiter auf dem dafür zuständigen Jobcenter und beantragen Hartz-IV, wie mit ihrem Vermittler besprochen.
Nun entscheidet eine andere weitere Abteilung - die Leistungsabteilung - über die Finanzierung der Grundsicherung zum Lebensunterhalt (Hartz IV, Arbeitslosengeld) und auch über die der Ausbildung, die Sie demnächst antreten wollen.
Dann flattert Ihnen jedoch eine Ablehnung ins Haus. Ihr Antrag auf eine Aus- bzw. Weiterbildung wird komplett abgelehnt, die Zusagen Ihres beratenden Arbeitsvermittlers sind irrelevant. Ihr Antrag auf Hartz IV wird ebenfalls abgelehnt, denn Sie haben ja noch das Geld aus Ihren Rücklagen für die Altersvorsorge. Somit gelten Sie nicht als "bedürftig" und erhalten keine Grundsicherung.
Sie verstehen all das nicht. Gehen erneut zur Beratung ins Jobcenter und ein neuer Sachbearbeiter rät Ihnen, erst einmal mit den Rücklagen aus Ihrer Altersvorsorge die gewählte Ausbildung vollständig abzuzahlen, denn dann wären Sie ja am Ende "bedürftig" und könnten dann gleich - weil mittellos - auch Hartz IV beantragen.
Sie folgen dem Ratschlag, leuchtet Ihnen ja auch ein, dass derjenige, der ja noch irgendwo Geld auf der hohen Kante hat, nicht noch Geld vom Staat abzocken kann. Daher zahlen Sie beim Träger, der Ihnen diese neue Ausbildung anbietet die gesamten Schulungskosten auf einen Schlag. Sie sind nun auf einen Schlag mittellos und in höchstem Maße bedürftig. Nun stellen Sie erneut einen Antrag auf Arbeitslosengeld II (Hartz IV) beim zuständigen Jobcenter.
Und siehe da... auch der wird Ihnen abgelehnt!
Dieses Mal teilt man Ihnen mit, dass Sie generell überhaupt keinen Anspruch auf Hartz IV haben, weil Sie zuvor als freier Mitarbeiter so eine Art Selbständigkeit ausgeübt haben und es für diese Gruppe keine Grundsicherung gebe.
All das haben bis dahin alle "Berater" nie angesprochen, obwohl Berufsabschlüsse, Zeugnisse, Werdegang und Praxis gesichtet worden sind. Keiner hatte sie bislang auf diese Besonderheit aufmerksam gemacht. Nun sind Sie arbeitslos, Ihre Altersvorsorge vollständig aufgebraucht und mittellos. Auch Ihre Ausbildung, die Sie bezahlt haben, können Sie mitunter nicht antreten, weil sie ja nicht wissen, wovon Sie zwischenzeitlich leben sollen?
Sie sind empört über die Schlampigkeit, mit der Ihnen "Berater" diesen Weg in die Mittellosigkeit geebnet haben. Deshalb sprechen Sie erneut beim Jobcenter vor.
Dort beruhigt man Sie, erklärt, dass es für den von Ihnen ausgewählten Ausbildungsberuf Bafög gebe. Auszubildende für diesen Beruf könnten Bafög beantragen, deswegen sei Hartz IV ausgeschlossen. Aha!
Für Bafög aber sind Sie leider schon zu alt. Das gibt es nur bis 30, in Ausnahmefällen auch bis 35.
Ach ja, und außerdem haben Sie ja bereits ein Studium hinter sich vor Ihrem ersten Beruf. Damit haben Sie auch keinen Anspruch mehr auf einen zweiten Ausbildungsgang, der über Bafög finanziert werden soll. Das Jobcenter argumentiert folgendes: "Sollte ein Antragsteller individuelle Gründe haben, warum er kein Bafög bekommt, sei das nicht ausschlaggebend!" - Ätsch, Leistung muss sich eben wieder lohnen und Ihr Alter ist ganz allein Ihr Problem!
Das ist doch alles absurd, glauben Sie?
Das glauben Sie nicht?
Dann lassen Sie sich belehren, am besten, bevor Sie sich weiterbilden lassen über das Jobcenter.
www.tagesspiegel.de/berlin/von-jeder-hartz-iv-foerderung-ausgeschlossen/5785900.html
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INFOS
Diabetes-Vollkost ist nicht aus den Hartz IV Regelleistungen zahlbar
Die Mehrbedarfsempfehlungen 2008 ersetzen nicht eine ggf erforderliche Begutachtung im Einzelfall ... . ... dass das typische Ernährungsverhalten einkommensschwacher Haushalte nicht den Merkmalen einer Vollkost entspricht ... Hieraus folgt, dass die Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichproben (EVS 2003) für Nahrung, Getränke und Genussmittel, die die Datenbasis für die Festsetzung der Regelsätze ab 2007 bilden, die Kosten einer Vollkosternährung nicht darstellen.“ Das urteilte das Landessozialgericht NRW in dem Urteil mit dem Aktenzeichen: LSG NRW, AZ: L 7 B 440/09 AS.
Das gesamte Urteil:
www.gegen-hartz.de/urteile/hartz-iv-satz-reicht-nicht-fuer-diabetes-vollkost-326262.html
Arzt muss über Arbeitsfähigkeit entscheiden
War ein Arbeitnehmer aufgrund einer Krankheit berufsunfähig und will wieder arbeiten, so muss dieser belegen, dass er wieder gesund ist. Das hat das Arbeitsgericht Iserlohn in einem Urteil entschieden (AZ: 4 Ca 1444/10), wie die Deutsche Anwaltsauskunft aktuell hinweist...
www.gegen-hartz.de/urteile/arzt-muss-ueber-arbeitsfaehigkeit-entscheiden-244220.html
Keine erneute Weiterleitung von Rehabilitationsanträgen
Ein einem Rehabilitationsträger von einem anderen Träger zugeleiteter Rehabilitationsantrag darf nicht ein zweites Mal weitergeleitet oder an den erstangegangenen Träger zurückgeleitet werden. In diesem Zusammenhang ist nicht zu prüfen, ob dem erstangegangenen Träger ein rechtsmissbräuchliches Verhalten zur Last fällt. Dies hat das Landessozialgericht in einem heute veröffentlichten Beschluss entschieden...
www.gegen-hartz.de/urteile/erneute-weiterleitung-von-rehabilitationsantraegen-53653.html
Hartz IV Bezieher steht bei Mietzuzahlung Betriebskostenguthaben zu
Im konkreten Fall erkannte das Jobcenter Kiel im Jahr 2009 von der tatsächlichen Miete der Hartz IV Leistungsberechtigten in Höhe von rund 405 Euro nur die sog. Mietobergrenze von 327 Euro (später 362,80) an. Die Differenz zu ihrer tatsächlichen Miete bezahlte die Leistungsberechtigte aus ihrem ALG II Regelsatz von 359 Euro. Im September 2009 erhielt die Leistungsbezieherin von ihrem Vermieter die Betriebskostenabrechnung für das Vorjahr, die mit einem Betriebskostenguthaben in Höhe von 297,40 Euro abschlossen ...
www.gegen-hartz.de/urteile/hartz-iv-mietzuzahlung-und-betriebskostenguthaben-325252.html
Oma Hartz IV mit Enkel kein Regelsatz nach SGB XII
Ein beliebter „Fehler“ von am kommunalen Sparen orientierten SGB II-Behörden ist es, i o.g. Konstellation dem Kind nur den Regelsatz nach SGB XII zu gewähren (dass es sich nicht um eine Bedarfsgemeinschaft handelt ist i.A. klar). ...
www.gegen-hartz.de/nachrichtenueberhartziv/oma-hartz-iv-mit-enkel-kein-regelsatz-nach-sgb-xii-62622.php
Keine Erstattung von rezeptfreien Arzneimitteln durch das Jobcenter
Im Zweifelsfall muss die Krankenkasse verklagt werden.
Hartz IV Empfänger können keine rezeptfreien Medikamente vom Leistungsträger erstattet bekommen. Stattdessen sollen laut eines aktuell gefällten Urteils des Bundessozialgerichts in Kassel die gesetzlichen Krankenkassen in die Pflicht genommen werden. Hier muss jeweils im Einzelfall entschieden werden...
www.heilpraxisnet.de/naturheilpraxis/keine-hartz-iv-erstattung-fuer-privatrezepte-2772734.php
Dazu ein ergänzender Kommentar von Rechtsanwalt Meinulf Krön:
Es kommt immer auf eine Gesamtbetrachtung an. Wenn also die Zuzahlungen und Praxisgebühren laufend anfallen und dann noch zusätzlich nicht-verschreibungspflichtige Medikamente hinzukommen, die nach entsprechenden ärztlichen Attesten aber medizinisch notwendig zur Behandlung sind, ohne zwingend zum Therapiestandard zu gehören (und daher eine Übernahme durch die Kasse ausscheidet) ist schnell der im Regelbedarf enthaltene Anteil für Kosten der Gesundheitspflege von zur Zeit 14.04 EURO überschritten.
Ist die Übernahme von Kosten für Arzneimittel, die von der Kostentragung durch die Krankenkasse gemäß § 34 SGB V ausgeschlossen sind, aufgrund der Höhe und des geringen Anteils für Arznei- und medizinische Hilfsmittel in der Regelleistung nach § 20 SGB II dem Hilfebedürftigen nicht zumutbar, so liegt aber eine atypische Bedarfslage vor, die nicht mehr aus dem Regelbedarf zu bestreiten ist. Das Bundessozialgericht hat bei regelmäßig monatlich anfallenden Kosten von 20,45 EUR die Bagatellgrenze auch als überschritten angesehen, oberhalb derer eine Übernahme nach der Härtefallregelung auch für Gesundheitspflegekosten in Betracht kommt (BSG, Urteil vom 19.08.2010 – B 14 AS 13/10 R Rn. 20). Also: immer erst einmal eine Gesamtbetrachtung machen lassen und nicht vorschnell die PatientInnen dazu bringen, Anträge einfach zu unterlassen, weil Einzelpositionen isoliert betrachtet jeweils im quasi füllhorngleichen Regelbedarf enthalten sein sollen.