Bei einer mit knapp 40 Zuschauern gut besuchten Verhandlung in Strafsachen am 27.06.2015 vor dem Amtsgericht Braunschweig gegen einen Anti-Bragida-Demonstranten wegen vermeintlicher Körperverletzung an einer Bragida-Demonstrantin ist der Prozess wegen widersprüchlicher Zeugenaussagen unterbrochen worden.
Dem Angeklagten wird vorgeworfen, im Frühjahr 2015 eine Versammlungsteilnehmerin der Bragida-Kundgebung auf dem Weg zum Versammlungsort in die Absperrgitter gestoßen zu haben, so dass sie sich dabei multiple, attestierte Verletzungen zuzog.
Eine vorangegangene Verständigung gem. § 257 c StPO hat es nicht gegeben.
Der 58-jährige Angeklagte W. B., der einen zuvor ergangenen Strafbefehl nicht akzeptierte, machte von seinem Recht Gebrauch, zur Sache keine Angaben zu machen.
Die 56-jährige Geschädigte D. S. begann ihre Zeugenaussage mit später noch mehrfach wiederholten Vorwürfen gegenüber der Polizei, die sie für den Vorfall verantwortlich zu machen versuchte, weil die Beamten die Masseurin und med. Bademeisterin nicht an ihren Wunschzugängen zum Versammlungsort der Bragida durchließ.
Die Bragida-Versammlung fand mit einer recht überschaubaren Teilnehmerzahl auf dem St.-Nicolai-Platz statt. Das Bündnis gegen Rechts veranstaltete schon mit früherem Beginn eine Gegenveranstaltung inkl. Kulturprogramm und mehreren hundert Teilnehmenden auf dem Herzogin-Anna-Amalia-Platz. Bei einer regelmäßig an Bragida-Versammlungen Teilnehmenden könnte man eigentlich die Kenntnis darüber voraussetzen, dass die Polizei jeweils mit einem Großaufgebot beide Lager trennt. Anstatt aber den Versammlungsplatz der Bragida direkt über den Magnitorwall anzusteuern, wollte die Zeugin über den Versammlungsort des Bündnisses gegen Rechts zur Bragida-Kundgebung. Dort sei ihr der Zugang verwehrt worden. Dann versuchte sie es südlich des Schlosses an der Georg-Eckert-Straße, wo aber schon eine große Anzahl von Gegendemonstrierenden stand. Sie traf dort den Zeugen M.-P. S., mit dem sie trotz Polizeiabsperrungen durch die Menge ging und um Durchlass bat. Die Polizisten zeigten ihr eine Stelle, an der sie zum gewünschten Kundgebungsplatz durchgelassen werden könne, ohne dass die Beamten extra für sie die Absperrungen öffnen mussten. Das empfand sie als eine Zumutung.
Die Zeugin schilderte, dass sie nun an diesen Hamburger Gittern von einer männlichen Person mit der flachen Hand gegen ein Auge von hinten in die Absperrungen gedrückt worden sei, wodurch sie leicht benommen gewesen sei. Zudem beschrieb sie ihre Verletzungen am Auge, Kopf und Rücken.
Den Täter hätte sie nicht erkennen können. Den Angeklagten sehe sie im Gerichtssaal zum ersten Mal. Sie könne sich ansonsten nur an einen einzigen Teil eines spezifischen Kleidungsstücks des Täters erinnern. Danach sei der Zeuge M.-P. S. auch noch in sie hineingeschubst worden, wobei sie die dafür verantwortliche Person nicht gesehen hätte. Sie hätte fünfmal um Hilfe geschrien und ein Polizist sei daraufhin über die Absperrungen gesprungen und hätte den Zeugen S. durch die Absperrungen gezogen. Sie selbst sei eigenständig über die Barrieren gestiegen.
Die Zeugin gab an, bis heute Probleme mit trockenen Augen zu haben, die sie allerdings auch schon vorher hatte. Auf Nachfrage sagte sie, dass sie danach nicht mehr beim Augenarzt gewesen sei. Sie hätte sich nach diesem Vorfall aus arbeitstechnischen Gründen auch nicht krankschreiben lassen.
Der 70-jährige Zeuge M.-P. S., bei dem man zeitweise den Eindruck gewinnen konnte, er verwechsele den Gerichtssaal mit einem Bragida-Kundgebungsplatz, war sich sicher, den Angeklagten eindeutig wiederzuerkennen und sich an ein anderes markantes Kleidungsstück an ihm erinnern zu können. Dieser hätte die Zeugin D. S. von hinten mit brachialer Gewalt, beiden Händen und vollem Körpereinsatz auf den Boden geknallt, bis diese bewusstlos liegen geblieben sei. Er hätte dann den Angreifer mit beiden Händen gepackt, umgedreht und weggeschubst.
Dann sprang der Zeuge auf und schilderte lebhaft gestikulierend, wie er danach selbst von einem Mann mit üppigem Bauchumfang geschubst worden sei. Diesen hätte er abgewehrt und ihm mit seinem Regenschirm gedroht, dass er ihn damit abstechen würde, sollte dieser ihn nicht in Ruhe lassen.
Auf Fragen des Göttinger Verteidigers Rasmus Kahlen gab der Zeuge an, dass er nicht mehr wisse, ob ihm bei der Polizei im Ermittlungsverfahren Fotos des Tatverdächtigen zur Identifizierung vorgelegt worden seien. Er sei auch nicht in die Geschädigte D. S. gefallen, sondern hätte dieser aufhelfen wollen. Ferner beschrieb er ein weiteres markantes Kleidungsstück des Beschuldigten. Des Weiteren seien die Gegendemonstrierenden äußerst aggressiv, gewalttätig und beleidigend gewesen.
Zudem bejahte der Zeuge die Frage des Verteidigers, ob er auf jeder Bragida-Veranstaltung zugegen sei und dort auch öfter als Redner aufgetreten sei. Auf die Frage, ob er dabei die Gegendemonstrierenden auch schon mal „Arschlöcher“ und „feiges Pack“ genannt habe, sagte er: „Bleibt mal nicht aus.“ und holte zu weiteren Erklärungen aus.
Die Richterin belehrte den Zeugen daraufhin, dass er Fragen, durch deren Beantwortung er sich selbst einer Strafverfolgung (in diesem Fall wegen Beleidigung) aussetzen könnte, nicht beantworten müsse. Danach beantworte er die Frage nicht weiter.
Nach einigen weiteren Fragen rauschte der Zeuge S. allerdings unvermittelt und sachfremd mit verbalen Angriffen gegenüber dem anwesenden Sprecher des Bündnisses gegen Rechts, David Janzen, dazwischen, bis Herr Janzen bei der Richterin anregte, evtl. noch einmal eine Belehrung auszusprechen, um weitere Straftaten im Gerichtssaal zu unterbinden. Eine entsprechende Belehrung erfolgte durch die Richterin. Dabei schaute sie allerdings den Ratsherren Peter Rosenbaum an, der sagte, dass er nicht Herr Janzen sei.
Der 26-jährige Polizeikommissar F. B. aus Hannover sagte aus, an besagter Trennlinie im Einsatz gewesen zu sein, an der die Zeugin D. S durch den Angeklagten mit flacher Hand in die Absperrgitter geschubst worden sei. Der Zeuge M.-P. S. hätte einen anderen Gegendemonstranten mit einem Regenschirm abgewehrt. Er selbst habe sich bei dem Angriff auf die Geschädigte aufs Geländer der Absperrgitter gestellt und den Angreifer weggedrückt. Der Kommissar benannte einige markante Details der Bekleidung des Angreifers. Zivilbeamte hätten später den Tatverdächtigen ermittelt und fotografiert.
Der 24-jährige Polizeikommissar Y. S. aus Hannover sagte aus, ebenso an besagter Trennlinie im Einsatz gewesen zu sein, an der der Angeklagte der Geschädigten mit der Hand ins Gesicht geschlagen hätte. Der Kollege F. B. hätte den Angeklagten weggestoßen, während er selbst der Geschädigten über die Absperrungen geholfen hätte. Der Begleiter sei von der derselben Person geschubst worden.
Laut seinem Gruppenführer P. M. sei der Beschuldigte später von einem Kollegen wiedererkannt worden, so dass Zivilbeamte die Verfolgung aufgenommen hätten und der Angeklagte später festgenommen worden sei. Der Zeuge PK Y. S. konnte sich an ein weiteres Detail der Bekleidung des damals Tatverdächtigen erinnern, aber schloss eines aus, dass er in seinem schriftlichen Bericht erwähnt hatte.
Der Verteidiger wies auf eine gleichlautende Datumsdiskrepanz in den mündlichen wie auch schriftlichen Aussagen der Polizeibeamten hin. Die Frage, ob sich der Vorfall auch im Oktober am Kennedy-Platz ereignet haben könnte, bejahte der Kommissar Y. S. Auch an spezifische Merkmale des Angeklagten, die andere Zeugen benannten, konnte sich der PK ebenso wenig erinnern wie an sonstige Randbedingungen.
Die junge Polizeikommissarin L. H. als Zivilbeamtin einer Fahndungseinheit aus Hannover, die den Auftrag zur Identifizierung des Tatverdächtigen und eine Personenbeschreibung auf Veranlassung der Bereitschaftspolizei Oldenburg von ihrem Vorgesetzen PK P. B. erhalten hatte, verfolgte den vermeintlich Tatverdächtigen mit einem Kollegen über 2 Stunden über verschiedene Standpunkte. Danach sei der Angeklagte nach Versammlungsende zusammen mit Kräften aus Göttingen festgenommen worden. Während der Verfolgung hätte sie den Tatverdächtigen mit ihrem Diensthandy fotografiert und das Foto später auf der Dienststelle zusammen mit PK F. B. ausgewertet, der den Angeklagten darauf wiedererkannt habe.
Auf Nachfrage der Verteidigung sagte die Kommissarin aus, dass sie die Tat selbst nicht beobachtet hätte. Der Verteidiger fragte, aus welchem Grund sie ihren Bericht erst im letzten Winter geschrieben hätte. Erst dann hätte man ihr die Ermittlungsakte zugeschickt, war ihre Antwort. Auf Nachfrage der Verteidigung bestätigte sie noch einmal, dass man ihr die komplette Ermittlungsakte zugeschickt hätte. Auf weitere Nachfrage sagte sie aus, dass sie ihre Berichte grundsätzlich selbst schreibe. Auf die Frage des Verteidigers, wie es dann käme, dass in allen Berichten sämtlicher Polizeibeamten immer derselbe Datumsfehler hinsichtlich der Tatzeit auftauche, hatte die Kommissarin keine Antwort.
Auf die Frage nach der Bekleidung des Mannes, den sie zwei Stunden lang verfolgt hatte, konnte sich die Kommissarin nur an eine dunkle Hose und eine dunkle Jacke erinnern. Weitere prägnante Merkmale hätte sie nicht in Erinnerung. Die Frage, ob sich der Verdächtige während der Observation umgezogen hätte, verneinte sie.
Die Kommissarin bestätigte, dass Fotos zur Identifizierung des Täters als Beweis zu den Akten zu nehmen seien. Sie hätte das Foto aber gelöscht. Die Antwort auf die Nachfrage des Verteidigers nach dem Grund der Löschung blieb die Polizistin schuldig.
Nach dreistündiger Verhandlungsdauer war festzustellen, dass viele Zeugen sich offensichtlich abgesprochen oder voneinander abgeschrieben hatten, sich aber an prägnante Details, die einige Zeugen beschrieben, nicht erinnern konnten und es eine Vielzahl widersprüchlicher Aussagen zum Tathergang und zu Randbedingungen wie z. B. dem Veranstaltungsbeginn oder bzgl. der anwesenden Trommler gab.
Die Verteidigung beantragte daher, zu einem weiteren Termin den Gruppenführer PK P. B. als Zeugen zu laden. Der Staatsanwalt regte an, dann doch gleich noch den Gruppenführer PK P. M. zu hören. Die Richterin beschloss die Zeugenladungen, die Verhandlung wird am Freitag, 15.07.2016, um 10:00 Uhr im Saal E 03 fortgesetzt.
Nach Sitzungsende sagte der Verteidiger, dass es extrem auffällig sei, dass sämtliche Polizeibeamten ihre Berichte inhaltlich von der Struktur her identisch, aber mit eigenen Formulierungen verfasst hätten, aber alle genau denselben Datumsfehler implementiert hätten. Zudem sei es recht fragwürdig, dass sich zwei Polizeibeamte und teils auch die weiteren Zeugen an unterschiedliche, sehr markante Details des Angeklagten erinnerten, während sich die Zivilbeamtin, die den Tatverdächtigten über zwei Stunden lang verfolgte, an keines dieser Details erinnern könne.
Des Weiteren sprach der Verteidiger von einer eklatanten Anzahl anhängiger, juristisch nicht tragfähiger Bußgeldverfahren in Braunschweig gegen Versammlungsteilnehmer, die gegen die fremdenfeindliche und rassistische Hetze der Bragida protestieren, nachdem die Staatsanwaltschaft die Ermittlungsverfahren schon eingestellt hätte. Es ist dabei davon auszugehen, dass es um die systematische politische Verfolgung und Einschüchterung sowie Kriminalisierung der Gegendemonstrierenden geht, um diese von der Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit abzuhalten.
Im Einzelnen ginge es um solche Bagatellen wie die Benutzung einer Trillerpfeife, einer Taschenlampe, obwohl sich kein Teilnehmer der Bragida-Versammlung dadurch geblendet fühlte, oder um eine Nichteinhaltung eines Abstandes zum Polizeiabsperrband von einem Meter.
Es zeigt sich daher ein trauriges Bild des Handelns der Braunschweiger Stadtverwaltung mit dem Ziel, Rechtspopulisten und Rechtsradikalen in die Karten zu spielen.